Der Schattensucher (German Edition)
alte Schriften zeigen.
Es war gut, dass Jason sich um die Sicherheit auf Briangard kümmerte. Levin brauchte nicht mehr über die Wachen im Haus nachzudenken. Wenn er einen Wachposten traf, grüßte er und überlegte nicht, in welchem Schatten er als Nächstes abtauchen konnte. Das machte alles einfacher. Zum ersten Mal bewunderte er die vier Säulen in der Eingangshalle, ohne sie als möglichen Fluchtweg zu begutachten. Jason sah er jetzt öfter im Palast. Und wenn Levin ein freundliches Gesicht machte, wich aus Jasons Augen die Angst, dass er ihm wieder den Platz streitig machen würde.
Alles war entspannter geworden auf Briangard. Man hatte nicht mehr das mulmige Gefühl, irgendetwas falsch zu machen, wenn man über den Hof spazierte. Da waren nicht mehr die strengen Blicke der Wächter an allen Ecken, die einen befürchten ließen, dass man für ein Lachen bestraft wurde.
Das freute Levin und doch kümmerte es ihn wenig. Er saß bei Elena.
»Warum willst du nicht draußen sein und den warmen Tag genießen?«, fragte sie ihn einmal.
»Hier drin ist es wärmer«, antwortete er und strich ihr über die Stirn. In den zwei Wochen, seit sie wieder hier oben waren, hatte Elena neun Anfälle gehabt. Jedes Mal hatte Levin ihr schnell das Serum gegeben, dann war sie erschöpft eingeschlafen. Doch sie wussten, dass ihre Kraft nachließ. Immer schwächer wirkte das Serum und immer zahlreicher wurden die dauerhaften Spuren an ihrem Körper: da waren die Flecken im Gesicht, ihr ausgedünntes Haar und die immer schmächtigeren Glieder. Sie hatte kaum mehr die Kraft aufzustehen und ihre Muskeln zu bewegen.
»Stütz dich auf mich, wir gehen einmal im Zimmer herum. Danach kannst du dich wieder hinlegen oder noch weitergehen.«
Sie gingen umher, er spürte ihren warmen Schweiß an seinem Arm, danach kehrten sie zum Bett zurück.
»Lass mich ein wenig am Bettrand sitzen«, sagte sie.
»Brauchst du etwas zu trinken?«
»Wenn du mir etwas stiehlst.«
Er stahl ihr einen Becher Wasser und setzte sich neben sie. »Möchtest du nachher wieder ein paar Schritte gehen?«
»Ich kann nicht mehr.«
»Deine Muskeln. Du musst sie bewegen.«
»Du weißt, dass ich sie nicht mehr oft bewegen werde, Levin.«
Er streichelte ihre Haare. Es waren die schönsten Haare, die er je berührt hatte. »Solange du atmest, werde ich nicht an so etwas denken.«
»Und dafür bin ich dir dankbar. Ich lebe mehr, als ich all die Jahre davor gelebt habe. Du weißt nicht, was mir das bedeutet.«
Doch, ich weiß es , sagte er zu sich, während er ihr wunderschönes Gesicht studierte. Du redest mit jemandem, der es nicht anders erlebt. Wir sind zwei Gleichgesinnte, du und ich. Er legte ihr die Hand auf den hager gewordenen Schenkel. Erst zitterte sie ein wenig vor Scham, dann legte sie ihre Hand auf seine.
Zwei Tage später hatte sie den furchtbarsten Anfall ihres Lebens. Thanos hatte ihm noch am Mittag gesagt, dass sie schlecht aussehe und man mit dem Schlimmsten rechnen müsse. Elena schrie vor Schmerz und Levin glaubte, das Pressen in ihrem Körper selbst mitzuerleben. Sie nahm das Serum, kämpfte weiter mit dem Fieberangriff und krümmte sich im Bett. Irgendwann war ihre Kraft aufgebraucht, das Serum wirkte und Levin hielt ihre Hand fest umklammert.
»Ja, Elena, es ist alles gut. Ruh dich aus.«
Sie konnte die Augen nur halb öffnen und ihn anlächeln. »Ausruhen«, sagte sie ganz langsam.
»Ja, ausruhen. Du musst wieder zu Kräften kommen.«
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. »Keine Kräfte mehr. Bald ist es aus. Dann ist Ruhe.«
»Was redest du?« Er beugte sich über sie. Sie musste nichts mehr sagen, um ihn zu überzeugen, dass sie recht hatte. Als könnte er das Blut in ihren Bahnen beobachten, spürte er, wie schwerfällig es floss und wie bald es aufhören würde zu fließen. Sehr bald. »Elena, ich will das nicht.«
»Levin.« Ihre Worte wurden schwächer. »Ich liebe dich, weißt du das?«
Ein Schauer ging durch seinen Körper. Seine Augen wurden feucht. »Ich liebe dich auch.« Ganz vorsichtig näherte er sich ihr. Noch waren die Augen halb geöffnet. Er spürte, wie trocken ihre Lippen waren, als er sie behutsam küsste. Und als er sie wieder anschaute, hatte sie die Augen geschlossen.
Für einen Moment erschrak er. Doch er hörte noch ihr Atmen und fühlte den Puls an ihrem Handgelenk. Er zog ihr die Decke bis zum Hals und sagte: »Schlaf jetzt.«
Draußen auf dem Gang atmete er schwer und fühlte sich in den
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