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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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natürlichen Todes konnte er zwar nicht sterben; doch warum umgab er sich mit so vielen Wachen? Offenbar fürchtete er die Anschläge, mit denen seine fanatischen Gegner versuchten, ihm gewaltsam das Leben zu nehmen.
    Wie nun aber der Graf zu seiner sogenannten Unsterblichkeit gelangte, darüber spekulierten unzählige Sagen und Erzählungen. Elf Generationen war es her, dass der Graf eine Expedition ins Reimutgebirge unternommen hatte und dabei auf den neuartigen Stoff gestoßen war, den er »Meskan« nannte. Dabei erlangte er offenbar auf wundersame Weise die Eigenschaft, nicht mehr zu altern.
    Die weitere Gründungsgeschichte war gut dokumentiert. Nach der Entdeckung des Meskans hatte der Graf beschlossen, mithilfe früherer Weggefährten eine Mine und Wohnhäuser zu errichten. Das Meskanerz, aus dem man festes Baumaterial sowie wertvolle chemische Flüssigkeiten gewinnen konnte, wurde teuer in die anderen Städte Balduriens verkauft. Aus den Häusern wurde eine befestigte Anlage, aus dem Haus des Grafen ein Palast.
    Bald waren Menschen von den anderen Städten herbeigezogen und hatten sich nach und nach um die Anhöhe herum angesiedelt, auf der sich die Anlage befand. Zuerst waren sie aus den Hafenstädten Kortéssa und Estia gekommen. Diese Orte waren dafür bekannt, dass man mit großem Bedacht, mit Klugheit und einem Gefühl von Überlegenheit mit anderen Leuten umging. Später waren sie aus der Handelsmetropole Faiza gekommen – raffinierte, geschäftige Leute mit einem Sinn für lautes Debattieren. Andere waren aus dem Gebiet Ceilí im östlichen Gebirge angereist, wo es nur kleine Dörfer gab, in denen man eng beieinanderwohnte, von der Jagd lebte und die Tradition pflegte. Schwere Fehden zwischen einigen dieser Dörfer hatte ganze Dorfgemeinschaften herbeigetrieben. Dann gab es noch die Einwanderer aus den südöstlichen Städten Afaf und Ghazal. Sie konnten trotz ihres gemeinsamen Ursprungs kaum unterschiedlicher sein. Während man in der Hafenstadt Ghazal das Leben so nahm, wie es kam, und das Vergnügen der Arbeit vorzog, führten die Bewohner Afafs ein Leben in Zucht und Strenge. Nach wenigen Jahren war Alsuna – eine Erzmine mit einer kleinen Siedlung – zu einer Stadt geworden.
    Eine Generation nach der anderen war gestorben, doch der Graf starb nicht. Er veränderte sich nicht. Er blieb immerzu der Graf, Gründer und Herrscher von Alsuna. Seine Gründungsdokumente mit den Fünf Ehernen Regeln galten als Grundlage für das Zusammenleben und die Zukunft der Stadt. Trotzdem blieben die Unterschiede in Alsuna immer sichtbar. Es war nicht schwer zu sagen, in welchen Teilen der Stadt die Mehrheit der Kortésser, der Ghazaler, der Nordländer zu finden war. Wer heiratete, tat dies in seinem näheren Umfeld, und wer einen Sohn bekam, brachte ihm möglichst schnell den eigenen Beruf bei. Man zeigte ihm, welche Menschen zu ihm gehörten und welche er zu hassen hatte, was er zu glauben und wem er zu gehorchen hatte.
    Die Bewohner der Meskananlage Briangard hatten sich als die eigentlichen Vertrauten des Grafen betrachtet und sich zunehmend von den Zugewanderten in der Stadt abgesondert. Sie hatten eine Mauer um Briangard errichtet und damit war aus der Anlage eine Festung geworden. Die Stadt ihrerseits gründete den Senat, der anfangs unter der Führung des Grafen stand. Je selbstständiger die Stadt wurde und je tiefer der Graben zwischen Alsunern und Brianern, umso entschiedener betonte der Senat seinen Anspruch, die Stadt selbst zu regieren.
    Vor dreizehn Jahren, im Jahr 291 nach der Gründung von Alsuna, war die Seuche entdeckt worden. Zuerst hatte es nur Einzelne getroffen, bald aber war sie in allen Teilen der Stadt aufgetaucht. Auf Anweisung des Grafen ließen die Brianer nun niemand mehr aus der Stadt herein, abgesehen von einigen Händlern. Gelehrte in Alsuna fanden heraus, dass das Übel aus der Stilla kam. Sie war der einzige Fluss der Stadt, jeder trank aus ihr und wusch sich mit ihrem Wasser. Briangard war direkt hinter dem Wasserfall gebaut, der sich in die Stilla ergoss. Der Fluss führte unter der Festung hindurch und von dort in die Stadt. Wenn die Seuche aus dem Fluss kam und der Fluss von der Festung des Grafen ausging, dann lag es nahe, dass der Graf das Wasser verseucht hatte.
    Ein erbitterter Streit hatte begonnen, die Stadt zu spalten. Viele hatten den Tod des Grafen gefordert, viele seine Absetzung. Andere hatten ihn verteidigt. Der Senat war zum Entschluss gekommen, den Grafen

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