Der Schattensucher (German Edition)

es, wie du willst. Jedenfalls ist es keine Substanz. Es ist immer darauf angewiesen, an einen Trägerstoff gebunden zu sein. Für gewöhnlich ist es das Metall, das man fälschlicherweise als das eigentliche Meskan bezeichnet. Richtig wäre es zu sagen, das Metall trägt Meskan in sich. Die Kunst ist, das Meskan von seinem ursprünglichen Träger zu lösen und an einen anderen zu binden. Das ist nicht unkompliziert, aber möglich.«
    »Einen Moment. Du behauptest, es handelt sich nicht um eine Substanz. Was ist es dann?«
    »Vielleicht werden wir es nie genau herausfinden. Manchmal muss man akzeptieren, die Ursprünge einer Sache nicht zu kennen. Wir können nur seine Wirkungen und sein Verhalten beobachten. Ich sagte, nenne es, wie du willst. Ich meinte damit, dass es sich im Grunde um eine Form von Leben handelt. Es unterstützt nicht das Leben, sondern es ist tatsächlich Leben in sich ; eine Form von Leben, die im Innern des Reimutgebirges pulsiert. Bitte frag mich nicht, was Leben ist. Leben ist … nun ja, Leben. Vermutlich können wir es nur als das beschreiben, wie wir es erfahren.«
    »Es ist nicht gerade leicht, sich das vorzustellen.«
    »Aber sicher ist es das. Wie nennen wir den Zustand, wenn das Leben abwesend ist?«
    »Du sprichst vom Tod?«
    »Richtig. Es ist doch erstaunlich, dass du offenbar vom Tod eine klarere Vorstellung hast als vom Leben. Wenn das so ist: Stell dir das Leben vor als all das, was dich und die Welt derzeit vom Tod unterscheidet. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Was das Meskan anbelangt: Meistens ist es in Bewegung. Wir sehen die Bewegung nicht, aber sie findet naturgemäß statt.«
    »Das heißt, das ganze Reimutgebirge ist in Bewegung?«
    »Im Inneren, ja.«
    »Dann glaubst du also, wir sind der Macht der Natur unterworfen?«
    »Unsinn. Das habe ich nicht gesagt. Es geht um Leben oder Nichtleben. Das hat nichts mit der Natur zu tun. Meskan ist nicht ein Teil der Natur, ebenso wenig wie es ein Teil von uns ist. Es ist einfach nur Leben, ist das wirklich so schwer zu verstehen?«
    »Was, wenn das Meskan sich nicht mehr bewegt?«
    »Das kommt darauf an. Es gibt verschiedene Richtungen, in die sich etwas bewegen kann. Leben ist es dann, wenn es sich in eine Richtung bewegt, die den Zustand vollkommener Ordnung anstrebt. Wenn es diesen vollkommenen Zustand erreicht hat, braucht es sich nicht weiter zu bewegen. Umgekehrt gibt es auch eine zerstörerische Bewegung, die das Ziel hat, in die Starre zu führen. Dann ist es nichts anderes als Tod.«
    »Etwa in metallischer Form?«
    »Wenn du das gewöhnliche Meskanmetall meinst: nein. Es ist zwar ungemein stabil, aber das Meskan darin verursacht nicht einen Zustand der Starre, sondern der vollkommenen Ordnung. Denk immer an den Unterschied zwischen Starre und Ordnung. Aber schau dir diese Zinnstange an. Sie ist noch um einiges härter als das gewöhnliche Metall, und das, obwohl es sich um Zinn handelt. Die Flüssigkeit in dem Fläschchen war der Saft einer besonders aggressiven Pflanze, den ich mit Meskan verbunden habe. Es hat eine Todeskraft in dem Zinn entfaltet, wie du sie dir nicht vorstellen kannst.«
    »Eine Pflanze hat Todeskraft?«
    »Diese besondere Pflanze, ja. Sie greift auf andere Pflanzen über und entzieht deren Nährstoffe. Das Meskan wird, wenn es mit dem Saft dieser Pflanze in Verbindung gerät, mit einem Todesstreben aufgeladen. Dort, wo es dann beigemischt wird, entfaltet es wiederum diese Todeskraft. Die Stange ist nicht einfach nur hart. Sie hat eine faszinierende Zerstörungswut in sich.«
    Levin starrte die Stange ablehnend an. All dies klang befremdlich und war nichts, womit er sich gern beschäftigte.
    »Ich habe in deinem Labor aber auch andere Dinge gesehen. Schöne Dinge. Hat das auch mit irgendwelchen Pflanzen zu tun?«
    »Nein, nicht immer. Manchmal ist es ein bloßes Herumhantieren mit verschiedenen Stoffen, denen man Meskan beimischt. Denk an die schönen Gläser. Mir ist es gelungen, einfaches Glas mit Meskan zu versetzen. Es ist glänzender und stabiler als jedes gewöhnliche Glas und doch hat das nichts mit den Triebkräften eines Lebewesens zu tun. Doch stell dir ein Getränk vor, in dem sich Meskan befindet, das entweder mit Milde oder mit Aggressivität aufgeladen wurde. Was wird es wohl mit dem Menschen machen, der es zu sich nimmt?«
    »Ich kann es mir vorstellen.«
    »Wenn das Meskan im Körper ist, wird es von den Blutbahnen angezogen, denn das sind die Straßen des Lebens. Dort kann es eine