Der Schattensucher (German Edition)
ganze Menge ausrichten.«
Levin schaute Thanos tief in die Augen und machte kein Geheimnis daraus, dass er eine tiefere Wahrheit darin suchte. Was bezweckte er damit, dass er ihm all das erzählte? Will er mir alles sagen und mich dann töten? Will er mich in seine finsteren Machenschaften hineinziehen? Warum bleibt er dann so uneindeutig?
»Dann kann das Meskan also einen Menschen heilen oder schädigen«, flüsterte Levin.
»Ich denke, du hast es verstanden.«
Wieder fielen Levin die zahlreichen Einzelheiten im Gesicht des Grafen auf, unbedeutende Stellen, die man nur dann wahrnahm, wenn man begann, das Gegenüber als einen Fremden zu betrachten.
»Deine Unsterblichkeit … hat sie damit zu tun?«
»Es stecken unendliche Rätsel dahinter, die kaum zu verstehen sind. Nur so viel: Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Und ich hatte die richtigen Gedanken. Ich habe dem Tod ins Auge gesehen und dabei am Leben festgehalten. Seitdem ist keine Zelle meines Körpers mehr gealtert.«
Es wurde ganz ruhig und sie schauten durch das Fenster in den Hof hinaus.
»Du wirst nie jemandem verraten, was damals geschehen ist, nicht wahr?«, fragte Levin.
»Nein. Wie gesagt: Manchmal muss man es akzeptieren, die Ursprünge nie zu erfahren. Das, worauf es ankommt, habe ich dir gesagt. Die Einzelheiten wird kein Mensch jemals hören. Dass ich unsterblich bin, ist nun einmal so bestimmt, nicht von der Natur, nein, die Bestimmung liegt in mir selbst. Und dennoch ist es nicht etwas, was ein Mensch sich aussuchen kann. Nie wieder soll jemand versuchen, es mir nachzumachen.« Das Ende seines Satzes verschluckte er fast. »Nie wieder.«
»Du bist ein Mann voller Geheimnisse, Thanos.«
Thanos wandte ihm den Blick zu, seine schwermütige Miene verwandelte sich in ein Lächeln und er sagte: »Das mag sein. Aber die wirklich wichtigen Geheimnisse liegen doch im Offensichtlichen.«
22. Kapitel
Thanos hatte Levin für die Nacht freigegeben. Er sagte, dass morgen Mittag ein wichtiges diplomatisches Treffen mit zwei Senatoren stattfinde und er ihn gerne als Wächter dabeihabe. Levin schöpfte Hoffnung aus dieser Nachricht, vielleicht führte es ihn noch rechtzeitig auf eine entscheidende Spur. Dass er Darius in zwei Tagen treffen sollte, drückte zunehmend auf sein Gemüt. Gelegentlich dachte er daran, was wohl passierte, wenn er einfach auf Briangard bliebe. Er wäre außer Reichweite des Otusnetzes und könnte einer privilegierten Arbeit nachgehen. Doch schnell drängten sich ihm die damit verbundenen Probleme auf: Wenn der Graf wirklich einen Angriff auf die Stadt plante, würde es als Soldat in seinen Reihen sehr ungemütlich werden. Außerdem wäre er an ein Leben gebunden, das er für den Moment vielleicht genoss, das ihn auf Dauer aber quälen würde. Er dachte an seinen Keller mit den Schätzen, an die ungewissen Nächte in fremden Häusern, an seine Rolle als Blinder, der genüsslich das armselige Leben der Menschen durchschaute. Nein, er hatte nicht die Absicht, sein freies Leben in Alsuna aufzugeben. Thanos zu entlarven war seine einzige Chance, das zurückzuerlangen, was er am meisten liebte.
Gedankenverloren spazierte Levin um die Ecke, öffnete die Tür zu seinem Haus und warf das Obergewand ab. Er nahm den Wasserkrug, bespritzte sich das Gesicht und betrat das Schlafgemach. Als er das Licht bemerkte, blieb er stehen. Erschrocken wandte Elena sich zu ihm um. War es überhaupt Elena? Sie saß auf dem Bett, hielt einen Spiegel in der Hand und war gerade dabei, ihr Gesicht zu pudern.
Levin erschrak bei ihrem Anblick, denn sie zeigte das gleiche Bild wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte: ihr Ornamentkleid, die hochgesteckten Haare, ein übermäßig geschminktes Gesicht. Nur ihr Blick war ein anderer. Verängstigte, überraschte Augen schauten ihn an und wirkten immer gequälter, je länger die Stille zwischen ihnen anhielt.
»Du kommst …«, stammelte sie, »… jetzt schon?«
»Ich habe frei bekommen«, sagte Levin. Es folgte eine ernste Pause. Sie ließ den Spiegel sinken.
Nein , das ist sie nicht. Es ist eine andere Frau, eine närrische, sture Frau , sagte er sich .
Zugleich suchte er hinter ihrer Verkleidung die Elena, die er in den letzten Wochen kennengelernt hatte.
»Was tust du da?«, fragte er.
»Ich … nun ja …« Sie zögerte, dann kapitulierte sie. »Siehst du nicht, was ich tue?«
»Ja. Aber für wen? Wieso?«
»Das brauchst du nicht zu wissen.«
»Ich brauche das nicht zu
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