Der Schattensucher (German Edition)
schwammen sie an ihm vorbei, dann begannen sie ihn mehr und mehr zu alarmieren.
Sie werden das Tor schließen. Und ich bin hier.
Diesmal hatte er keine Minute Zeit. Sie würden warten, bis die Verstärkung eintraf, dann würden sie zuschließen.
Wie aus dem Nichts kamen frische Kräfte über ihn, durchfuhren seine Glieder und ließen ihn aufstehen. Einmal wischte er sich übers Gesicht, dann sprintete er los.
Er sah nicht um sich, als er durch den Raum, die offene Tür, über die Galerie rannte, dann ein Bein ausfuhr, mit einem Satz auf dem Geländer landete und mit einem weiteren Satz in die Halle hinuntersprang. Ein halbes Stockwerk segelte er hinab, dann bekamen seine Hände eine der vier Säulen zu fassen.
»Da war was!«
»Wo?«
»Keine Ahnung!«
Er klammerte sich fest, zog die Füße nach und rutschte an dem nassen Silberstein hinunter. Die kühlen Spritzer taten ihm gut. Ehe er am Boden ankam, ließ er los, flog ein Stück durch die Luft und rannte ohne zu zögern weiter. Das Tor war noch offen. Er stürzte sofort darauf zu.
Jetzt sah ihn der Wächter an den Türflügeln. Geistesgegenwärtig schlug er den ersten Flügel zu und griff nach dem zweiten. Levin raste der Tür so schnell entgegen, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Als der zweite Flügel sich schloss, streckte er die Arme aus, riss den Wächter zurück und schlüpfte durch den verbleibenden Spalt.
Die verregnete Treppe flog er mit zwei Sprüngen herab, und ehe sich die verwirrten Männer im Innenhof nach ihm umsahen, war er bereits durch die Kasernen-Passage zum Vorhof geeilt. Er hörte Schreie hinter sich, Warnungen, Drohungen, doch er hatte Vorsprung. Seine Lederschuhe zischten im Kies und trugen ihn zu den Ställen. Erst nach und nach formte sich in seinen Gedanken so etwas wie ein Plan – besser gesagt, passte sich sein eigentlicher Plan der neuen Situation an.
Er erreichte die Pferde. Bei Tag hatte er sich überlegt, welches er nehmen würde. Das Braune. Es stand an seinem Platz und schnüffelte im Heu. Levin band es los, zog das verwirrte Tier aus dem Stall in den Regen hinaus und sprang auf. Er ritt am Stall entlang und schnappte sich die Axt, die an der Wand hing. Dann galoppierte er dem Haupttor entgegen. Ein Wächter vor ihm riss die Augen auf und brüllte. Von hinten sah er Jason herbeieilen. Das Tor war nicht mehr weit. Unaufhaltsam raste er der Stelle entgegen, wo sich die Seilwinde befand. Levin holte mit der Axt aus, der Wächter hechtete zur Seite, die Axt durchtrennte das Seil und fiel ihm aus der Hand. Die Zugbrücke bewegte sich nach unten.
»Haltet ihn!«
Levin musste warten, bis die Brücke unten war. Von hinten hörte er ein anderes Pferd herbeigaloppieren. Von vorne rannte ein Wolfshund auf ihn zu. Ungeduldig starrte er auf das herabsinkende Tor, während Schweiß und Regen an ihm hinunterrannen. Der Hund bellte hysterisch, schoss auf ihn zu, packte ihn am Bein. Levin stieß einen Schmerzensschrei aus. Wild schüttelte er das Bein, ein Hautfetzen riss sich los, dann stieß er dem Pferd die Fersen in die Flanke. Es setzte sich in Bewegung. Die Brücke lag noch schräg, als er darüber hinwegritt. Der Hund blieb hartnäckig und biss immer wieder zu, während er neben Levin herrannte. Als er das Ende der Brücke erreichte, machte das Pferd einen Satz, setzte auf der anderen Seite auf und jagte kurz darauf die Straße nach Alsuna hinunter.
Nach einigen Metern, als das Pferd an Tempo gewonnen hatte, vergrößerte sich der Abstand zu dem Hund, das Bellen wurde leiser und bald gab sein Verfolger auf.
Doch statt des Gebells hörte er nun die Hufe eines anderen Pferdes. Er drehte sich um und sah einen Reiter in schwarzer Lederrüstung hinter sich.
Elende Wachen! Was musste Jason ihnen auch das Reiten beibringen!
Er trieb das Pferd noch stärker an und bekam beinahe Angst, es würde sich auf der steinigen, abschüssigen Straße überschlagen. In den Kurven musste er sich scharf zur Seite neigen, um nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Endlich erreichte er den Fuß des Berges und ritt auf die ersten Häuser zu. Wieder drehte er sich um, aber der Abstand zu seinem Verfolger war nicht größer geworden.
Er begann wieder zu schwitzen, der Regen spülte sofort sein Gesicht frei und der Wind kühlte ihn. Unkontrolliert flatterte seine Kapuze hinter ihm her. Jetzt tauchten die ersten Häuser auf. Die Straßen waren wie leer gefegt. Nur ein paar Fässer, Kisten und verlassene Stände standen auf dem nassen
Weitere Kostenlose Bücher