Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Insel gestorben, Doktor«, fuhr Dorello fort. »Wenigstens einer hat die Seuche überlebt und sich anderswo niedergelassen. Zu unserem Glück hinterließ er Memoiren aus seiner Zeit auf Dalahan – eine Chronik vom Untergang seiner Zivilisation. Über tausend Umwege gelangte diese Chronik in den Besitz des Generals, nachdem sie jahrhundertelang im Geheimarchiv eines Klosters im Ouraka-Gebirge vor sich hingeschimmelt hatte. Die Mönche wussten nicht einmal, was sie da gehabt hatten.«
»Aber der Chronist hat nicht verraten, wo die Insel liegt.« Es war keine Frage.
»Nein.« Dorello zuckte mit den Achseln. »Genauso wenig hielt er es für nötig zu erwähnen, dass sie fast dreihundert Klafter über dem Erdboden schwebt.«
»Also habt Ihr nach einem anderen Weg nach Dalahan gesucht.«
»Der Nachlass von Veribas’ Freund war unsere beste Spur. Doch leider war uns jemand anders einen Schritt voraus. Den Rest der Geschichte kennt ihr.«
»Wie lange sucht Ihr schon nach der Insel?«
»Seit dem Ende des Krieges. Acht lange Jahre.«
»Acht Jahre?« Lian runzelte die Stirn.
Dorello senkte die Stimme, als er sagte: »Der General ... wie soll ich sagen? Die Insel ist seine große Leidenschaft. Seine einzige. Man könnte fast sagen, er war von Dalahan wie besessen.«
Erst jetzt erkannte Kriss die Wahrheit. »Und Ihr wisst nicht, warum. Er hat Euch nie gesagt, was er hier zu finden hofft!«
Doch Dorello lächelte nur geheimnisvoll und ließ sie stehen, als eine Graujacke nach ihm verlangte.
» Wir sind unterwegs, die Welt zu retten. « Hatte Ruhndor seinen Leuten das nur erzählt – oder glaubte er wirklich daran? Was immer er hoffte »im Herzen der Insel« zu finden, für Kriss gab es keinen Zweifel, dass sie und Lian ihre Nützlichkeit für ihn erfüllt hatten, wenn er es fand. Das konnte sie nicht zulassen. Andererseits, wenn sie ihm in die Quere kamen, würde er sie genauso erschießen lassen wie die Dornenhunde. Oder Kapitän Bransker.
Was sollten sie tun?
»General!«
Die Stimme hallte durch das Foyer.
»Wir haben etwas gefunden!«
Der Schatz der gläsernen Wächter
Es war eine Tür, so hoch wie zwei Mann und aus einem elfenbeinfarbenen Material beschaffen. Kristalle waren darin eingelassen. Doch alles Ælon, das einst in ihnen gespeichert gewesen sein mochte, hatte sich längst verflüchtigt, und die Tür stand ihnen offen.
Dahinter führte eine zwei Klafter breite Wendeltreppe unzählige Stufen hinab. Ælonische Laternen entzündeten sich und warfen kaltes, weißes Licht auf grobes Mauerwerk.
Kriss’ Beine weigerten sich vorwärtszugehen, sie musste sich zu jedem Schritt zwingen.
Sie wusste nicht, wie viele Stufen sie hinter sich brachte. Hunderte. Vielleicht Tausende. Sie fürchtete halb, dass die Treppe einmal senkrecht durch die Insel führte und sie an ihrem Ende ins Meer stürzen würde.
Dann erreichte sie einen Torbogen. Er führte in eine Halle – eine riesige Halle im Herzen von Dalahan. Während Lian, der General und seine Graujacken ihr folgten, leuchteten weitere Laternen von selbst auf, jedoch nur langsam, als wollten sie den Menschen Zeit geben, den Anblick, der sich ihnen bot, zu verarbeiten.
»Großer Weltengeist!«, hörte Kriss einen ihrer Bewacher ausrufen. Sie war geneigt ihm zuzustimmen, aber es hatte ihr den Atem verschlagen. Und sie war damit nicht allein.
»Das is’ ...« begann Lian, aber ihm fehlten die Worte, den Satz zu beenden.
Kriss wusste nicht, was sie erwartet hatte, hier zu finden. Eine Kanone, die groß genug war, ein ganzes Land zu vernichten, vielleicht. Eine Flotte waffenstarrender Luftschiffe oder einen ganzen Schwarm von Schiffsfressern. Sie hätte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was ihre Augen ihr zeigten.
Vor ihnen erstreckte sich ein kuppelförmiges Gewölbe, groß genug, dass die Windrose und die Morgenstern Platz gehabt hätten, sich hier drinnen zu bekriegen, und so still wie die Weiße Kathedrale bei Nacht. Die Lichter an seiner Decke waren so weit entfernt, dass sie wie Sterne an einem dunkelgrauen Firmament wirkten. Gelber und roter Stein bildete ein verschlungenes Muster auf dem Boden, ein Labyrinth aus Schleifen, dessen Bedeutung Kriss nicht nachvollziehen konnte.
Aber all das verblasste zur Bedeutungslosigkeit vor den Obelisken.
Sie standen im Kreise am Rand des Gewölbes, so hoch wie der Turm im Wald der Kinder der Erde: zehn Kristalle, geschaffen aus Milliarden kleinerer Kristalle, klar wie Glas. Weiße Partikel leuchteten in
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