Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
ihrem Inneren, als hätte jemand Sternenstaub darin gefangen. Kriss’ Knie begannen zu zittern. Weiße Partikel, nicht regenbogenfarbene! Sie wusste, was das bedeutete, aber ihr Verstand war noch längst nicht bereit, das Ausmaß dieses Funds zu erfassen. Und so bemerkte sie erst spät die gläsernen Wächter.
Die zehn Obelisken wurde von zehn identischen Statuen bewacht. Jede davon war mehr als doppelt so groß wie ein Mensch, dennoch wirkten sie vor den monströsen Kristallen wie Zwerge. Auch sie waren durchsichtig und erinnerten Kriss an alte Rüstungen, massig, schwerfällig und eindeutig kriegerisch. Ihre Hände waren Keulen, bestückt mit funkelnden Klingen. Ein einziges Auge aus blauem Edelstein steckte in ihren helmartigen Köpfen. Doch die Statuen rührten sich nicht. Stattdessen starrten sie stumm vor sich hin, als warteten sie auf Befehle, bedeckt vom Staub aus Jahrhunderten. Ihre Leiber waren völlig transparent; Kriss hatte vermutet, das verräterische Glitzern von Ælon-Partikeln zu sehen, doch sie wurde enttäuscht. Ob die Wächter bloße Zierde waren oder irgendwelche Götzen darstellten, konnte sie nicht sagen. Überhaupt war sie nicht fähig, auch nur ein einziges Wort herauszubekommen. Und während sie mit offenem Mund dastand, zog General Ruhndor – klack-klack-klack – an ihr vorbei. In der Mitte des Gewölbes angekommen, breitete er die Arme aus. Sein ælonisches Auge leuchtete vor Triumph. »Dies ist der Grund, warum wir hier sind! Der größte Schatz der Welt!«
Kriss wartete auf ein gewaltiges Echo, doch es blieb aus – vielleicht änderten ælonische Felder die Akustik des Gewölbes.
»Nun, Doktor, was haltet Ihr davon?« Ruhndor drehte sich zu ihr und deutete zu den Obelisken.
Kriss konnte nichts sagen.
Es waren Ælon-Speicher! Gigantische Ælon-Speicher! In ihnen war genug Energie gebündelt, um eine Insel aus dem Meer zu reißen und an den Himmel zu fesseln – und noch mehr!
Aber das Ælon in ihnen war nicht verwebt , noch nicht dem Willen eines Menschen unterworfen. Es war freies Ælon , etwas, das seit zweihundert Jahren niemand mehr gesehen hätte, und schon gar nicht in diesen Mengen! Sie stellte sich die Maschinen vor, die sich durch das Erdreich der Insel erstrecken mussten und von hierher ihre Kraft bezogen.
» Alle Energie lässt sich für edle, als auch niedere Zwecke einsetzen. « Jetzt endlich begriff sie, was Veribas ihnen mit seinen letzten Worten hatte sagen wollen.
War Ælon erst einmal durch den menschlichen Geist geformt – ein Prozess, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern konnte – und damit einem bestimmten Zweck zugeführt, zum Beispiel eine Handvoll Zahnräder und Kupferfedern zum Leben zu erwecken, gab es keine Möglichkeit, es für etwas anderes zu benutzen. Wie Eisen, das zu einem Schwert geschmiedet worden war und nun zu keiner anderen Form mehr gegossen werden konnte.
» Alle Energie ... «
Kalte Schauer von Ehrfurcht und Angst liefen Kriss’ Wirbelsäule hinab, als ihr klar wurde, was sie hier gefunden hatten. Freies Ælon war schiere, reine Macht. Die Fähigkeit, zu erschaffen oder zu zerstören.
Deswegen hatte Veribas nicht gewollt, dass die Insel zu seinen Lebzeiten gefunden wurde! Als er zu seiner Expedition aufgebrochen war, hatte noch das Große Feuer getobt. Die Energie in den Obelisken hätte die verbrauchten, ælonischen Kriegsmaschinen wieder aufladen können – und der Krieg wäre noch verheerender geworden, hätte vielleicht sogar die ganze Welt verbrannt!
»Das dürft Ihr nicht tun!«, rief sie aus.
»Doktor?« Ruhndor sah sie an.
»Ich weiß, was Ihr vorhabt!« Ihre Bewacher mussten Kriss gewaltsam zurückhalten. »Aber Ihr dürft es nicht!«
»Ihr begreift nicht«, stellte Ruhndor gelassen fest.
»Ich begreife nur zu gut! Ihr wollt einen neuen Krieg beginnen und –!«
Der General zeigte die Parodie eines Lächelns. »Ihr irrt Euch, Doktor.«
»Was ist es dann?« Kriss’ Wächter hielten sie an den Schultern fest. »Wollt Ihr einen Rachefeldzug gegen Seine Majestät beginnen? Oder die Speicher an den Höchstbietenden verkaufen? Begreift Ihr nicht, welche Gefahr diese Kristalle darstellen?«
»Natürlich begreife ich das«, sagte Ruhndor todernst. »Wir sind nicht hier, um Krieg zu führen oder Geld zu machen.«
»Wofür dann?«, fragte Lian.
»Ihr wisst, wie es in der Welt aussieht.« Der General tat ein paar Schritte tiefer in das Gewölbe hinein. »Egal, ob zu Hause in Miloria, in Parandir oder
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