Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
nich’ böse!«
Er wollte nach ihrer Hand fassen, aber sie ließ es nicht zu. Wut kochte in ihr hoch. Sie hatte sich nie zuvor so klein gefühlt, so gedemütigt, so betrogen, so verlassen, so dumm. Sie war benutzt worden wie ein Spielzeug und sie hatte die Baronin direkt hierher geführt – und wofür? Für einen weiteren Krieg.
»Bitte!« Lians Stimme bebte. »Ich liebe dich! Das is’ die Wahrheit!«
Da blickte Kriss zu ihm auf. Und für einen Moment verrauchte ihre Wut, als sie ihn sah, so kläglich, gebrochen. Ganz anders als der Junge, in den sie sich verliebt hatte und doch derselbe.
»Bitte sag was!«
Sie nahm seine Hand und drückte sie.
»Ich glaube dir«, sagte sie.
Lian begann durch seine Tränen zu lächeln.
»Ich weiß, dass du keine Wahl hattest.« Sie strich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. »Aber sie wird dich nicht gehen lassen«, flüsterte sie. »Dafür liebt sie dich zu sehr – auf Ihre eigene, kranke Art. Sie wird dich bei sich behalten. Für immer.«
»Sie hat es versprochen«, sagte Lian. Aber seine Miene verriet ihr, dass sie aussprach, was er insgeheim immer befürchtet hatte.
Eine Weile standen sie nur so da, in den Armen des anderen. Kriss blickte an Lian vorbei und sie sah die Baronin im Kreise ihrer Soldaten, sah die gläsernen Wächter mit ihren mitleidslosen Blicken aus blauen Edelsteinen – und die Kristallobelisken, wegen denen soviel Blut vergossen worden war. Ælon. Die Gier der Menschen danach schien nichts als Tod und Elend zu bringen. Sie dachte an das Allerheiligste im Tempel der Zeit. An das Skelett des Grabräubers, getötet von lebendigem Sand, der auch Alrik und sie beinahe verschlungen hätte und –
Kriss riss die Augen auf. Sie löste sich von Lian, für einen Moment von einer Idee erfüllt.
Er schien zu ahnen, dass etwas in ihr vorging. Aber er stellte keine Fragen. Sie beide wussten, dass die Baronin die Antwort hören würde.
»Krisstenja.« Wie von ihren Gedanken gerufen, kehrte Baronin Gellos zu ihnen zurück. »Entschuldigt, ist dies ein schlechter Zeitpunkt?«
Kriss wischte sich die Wangen trocken. »Nein«, log sie. »Überhaupt nicht. Ich habe nur gerade daran gedacht, wie schön es ist, bald wieder zu Hause zu sein!«
Die Baronin lächelte mitfühlend. »Dann darf ich Euch um einen letzten Gefallen bitten?«
Kriss sah sich um. Als wären es bloße Mehlsäcke, hatten die Soldaten die Toten neben der Tür gestapelt. Einer davon war der tote General. Kriss unterdrückte ein Schaudern. »Einen Gefallen, Madame? Äh, natürlich. Welchen?«
»Die Dalahaner haben diese Kristalle garantiert nicht ungeschützt gelassen. Wenn es hier Fallen gibt, könnt Ihr mit Eurer Erfahrung uns bestimmt helfen, sie zu umgehen.«
»Natürlich, Madame«, sagte Kriss. »Mit dem größten Vergnügen!«
Lians Blick flehte sie an, vorsichtig zu sein – was auch immer sie vorhatte. Kriss holte tief Luft und versuchte, ihre zuversichtliche Miene beizubehalten.
Sie spürte die Blicke der Soldaten und der Baronin in ihrem Rücken, als sie sich vorsichtig dem nächsten gläsernen Wächter näherte. Sie richtete dabei ihre Brille, in der Hoffnung, dass dies besonders gelehrt wirkte.
Sie sah ihr eigenes Spiegelbild in dem blauen Edelsteinauge der Statue größer werden. Das Ding war fast dreimal so groß wie sie selbst und keine zehn Schritte von ihr entfernt. Das Ælon in dem Kristallturm dahinter glitzerte und flirrte wie Diamantenstaub im Wind. Für einen Moment hatte Kriss die Befürchtung, die funkelnde Säule könne auf sie stürzen.
Jeder Fehler würde ihr letzter sein. Und selbst wenn ihr Plan gelang, bestand die Gefahr, dass sie und Lian dafür mit dem Leben bezahlten.
Schweiß lief ihr über die Haut. Ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen fest. Sie schluckte mit knochentrockener Kehle.
Auf halben Wege stieß ihr Fuß gegen einen Gegenstand. Dorellos Pistole. Sie schloss kurz die Augen und sammelte sich. Ihre Hand berührte Brias Brille in ihrer Tasche. Hab keine Angst , hörte sie ihre Mutter sagen.
Kriss verharrte einen Moment. Atmete einmal tief durch, dann ein zweites Mal.
»Madame!«, rief sie schließlich.
»Krisstenja?« Die Baronin ließ Lian stehen und näherte sich ihr.
Kriss drehte sich um. »Ich gebe Euch und Euren Soldaten eine letzte Chance, diese Insel zu verlassen!«
»Bitte?« Die Baronin grinste, als habe sie etwas sehr Komisches verstanden.
»Dalahan gehört den Toten!«, rief Kriss aus. »Ich kann nicht zulassen, dass Ihr die
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