Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Kriss, was man mit »wettergegerbt« meinte. Es schien aus altem Leder gemacht zu sein, war dunkel und grob, voller Runzeln und Furchen.
»Guten Abend, Kapitän«, sagte sie. Ihr Magen begann wieder sich zu regen, als sie die Wolken sah, die an der Windrose vorbeiwallten. »Ich hoffe, wir stören nicht?«
»’n Abend«, murrte Bransker. »Darf ich offen zu Euch sein ... Doktor?«
»Ja, ähm, natürlich.«
»Gefällt mir nicht, mir von einer ... Fremden den Kurs vorgeben zu lassen. Aber die Baronin befiehlt und ich gehorche. Also keine Sorge, die ’ rose bringt Euch schon sicher durch die Welt. Behandelt das Schiff gut und das Schiff behandelt Euch gut. Klar?«
»Sonnenklar.« Kriss schnappte nach Luft.
»Luftkrank, wie? Hier.« Aus einem Wandschrank mit Verbandsmaterial förderte der Kapitän ein kleines Pillendöschen zutage. »Indigobeerenpastillen. Helfen manchmal. Nehmt drei am Tag und versucht, mir nicht auf die Gänge zu brechen.«
»Nehmt ihn nich’ allzu ernst«, sagte Lian, als sie die Brücke verließen. Kriss war schon vorher aufgefallen, dass er sich keine Mühe mehr gab, seine Aussprache zu korrigieren. »Er is’ früher zur See gefahren, wie die meisten hier. Du ... Ihr wisst ja, wie die Kerle so sind.«
Kriss nickte und schluckte eine der süßen Pastillen. Die Luftfahrt mit Kohle und Gas steckte noch in den Kinderschuhen. In der Ælonischen Epoche hatte es Flugschiffe gegeben, die wie fliegende Paläste aussahen; mehr Kunstwerke als Maschinen. Mit Energie im Überfluss hatte niemand einen Gedanken an überhitzte Kessel, gebrochene Pleuelstangen, entzündliches Gas oder Rauchschlote verschwenden müssen.
Heute, nach dem Versiegen des Ælons, war die Luftfahrt wieder abenteuerlicher geworden und die Luftfahrer rekrutierten sich meist aus erfahrenen Seeleuten, die an enge Räume, lange Fahrten und eine ständige Wartung ihres Schiffs gewohnt waren. Sie galten als hart im Nehmen, anspruchslos – und abergläubisch. Vor den beiden Steuerrädern hatte Kriss einen winzigen Schrein aus schwarz lackiertem Holz gesehen, auf dem eine Statuette von St. Haros stand, dem Schutzheiligen aller Schiffe, egal ob zu Wasser oder in der Luft.
Schließlich führte Lian sie die Treppe hinauf ins obere Deck, das sie auf dem Flug zur Baronin schon zum Teil kennen gelernt hatte. Er zeigte ihr die anderen Passagierkabinen, die ebenfalls von Ausrüstung in Beschlag genommen worden waren, und die Tür zu seinem eigenen Quartier, direkt gegenüber von ihrer Unterbringung. »Ruft mich, wenn Ihr was braucht«, sagte er und wandte sich ab. »Ich leg’ mich erst mal auf’s Ohr!«
»Lian!«
Er drehte sich zu ihr um.
»Wollen wir die ›Ihrs‹ und ›Euchs‹ nicht einfach weglassen? Der Einfachheit halber?«
Erst schien er eine Falle zu wittern. Dann entspannte er sich. »Wüsste nich’, was ich lieber tät’!« Er kratzte seine Narbe zwischen Nase und Oberlippe. »Was genau könn’ wir auf dieser Insel eigentlich erwarten? Ich mein’, wenn wir sie finden.«
Kriss seufzte. »Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Die Legenden sind alle sehr widersprüchlich.«
»Zum Beispiel?«
»Einige behaupten, Dalahan werde durch eine von Ælon gehaltene Nebelwand von der Außenwelt abgeschnitten. Andere sagen, die gesamte Insel befinde sich nicht mehr auf unserer Welt, sondern wurde in eine andere versetzt.«
Er runzelte die Stirn. »Aber was kann man auf der Insel finden? Gold? Juwelen? Beides?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Das ist genauso widersprüchlich. In dem einen Buch heißt es, dort läge ein Kristall, der die Zukunft vorhersehen kann, in dem anderen, dass sie von Menschen aus Glas bewohnt sei. Oder von sprechenden Blumen.«
»Sprechende Blumen?« Das kannst du nicht ernsthaft glauben , sagte sein Tonfall.
»Ich hab es mir nicht ausgedacht«, verteidigte sie sich. »Das Problem mit Legenden ist, dass sie durch die Jahrhunderte wandern, und dabei fügt dieser noch etwas dazu und jener lässt etwas weg, bis sie kaum noch etwas mit ihrer ursprünglichen Fassung zu tun haben. Aber in den meisten steckt immer auch ein Körnchen Wahrheit.«
»Ja, aber ... sprechende Blumen ? Obwohl das zumindest erklären würd’, warum dein Forscherkollege nichts gesagt hat, als er nach Hause kam. Man hätt’ ihn sofort weggesperrt.«
»Ich glaube, wir dürfen keine der Legenden wörtlich nehmen. Aber wir sollten auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.«
»Auf alle ...? Äh, ja! Klar!«
»Du, ähm, du weißt
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