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Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)

Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)

Titel: Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dane Rahlmeyer
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hinkritzelten, wenn ihnen langweilig war. Aber die Zeit und die Elemente hatten die Buchstaben bis zur Unkenntlichkeit verwittert. Sie konnten ebenso gut Schriftzeichen irgendeiner längst vergessenen Sprache sein!
    Lians Leben – und das ihre – hingen nun ganz allein von ihrem schauspielerischen Talent ab.
    »Das sind Galdæische Runen!«, erklärte sie, während sie tat, als würde sie die Einkerbungen im Fels studieren. Na ja , mit ein bisschen Fantasie kommt es schon hin ...
    Sie hatte Ruhndors Nähe gespürt, noch bevor sie seine Stimme hörte: »Könnt Ihr es entziffern?«
    Kriss schob sich die Brille zurück. »Es ist nicht leicht, ich –«
    »Könnt Ihr es entziffern, Doktor?« Sie fühlte den grünlichen Schimmer seines falschen Auges auf ihrer Haut.
    »Ja!«, beeilte sie sich zu sagen. Die ersten Sterne gingen gerade auf. »Gebt ... gebt mir nur ein wenig Zeit!«
    Ruhndor sagte nichts, sein Gesicht war so hart wie der Fels unter ihren Fingern.
    Ich hoffe, du weißt, was du tust , sagte Lians Blick.
    Das hoffe ich auch , dachte sie.
    Heißes Blut raste durch ihre Adern. Was sollte sie ihnen sagen? Was wollten sie hören? Wahrscheinlich erwarteten sie eines von Veribas’ Rätseln. Denk dir was aus! Irgendwas! Schnell ... bevor sie misstrauisch werden!
    »Das, äh, Haus«, begann sie. Weiterweiterweiter! »Äh, das Haus liegt im Schoß« – keine Ahnung, wie sie ausgerechnet auf Schoß gekommen war! – »des dritten ... äh, das Wort hier ist kaum zu erkennen. Es heißt ... ich glaube, es heißt ...«
    Sie würden ihr nicht glauben; sie würden sie durchschauen und sie würden Lian töten, damit sie so etwas nie wieder versuchte. Selbst wenn sie ihnen etwas halbwegs Plausibles auftischen konnte, würden sie sie wieder auf das Schiff schleppen und weiterfliegen und dann würde die Windrose sie niemals mehr finden, falls das Schiff überhaupt jemals kam!
    Der Gelbe Mond ging auf, dicht gefolgt von seinem roten Bruder. Kühler Wind spielte mit Kriss’ Haaren; der Wasserfall donnerte in ihren Ohren. Sie erschrak, als plötzlich die Lichter der Morgenstern auffluteten und dabei lange, harte Schatten warfen.
    »Das Wort, Doktor.« Ruhndors Tonfall war scharf wie eine Henkersaxt. Sein Umriss zeichnete sich schwarz vor den Strahlen des Schiffs ab.
    »Es heißt«, setzte Kriss an. Ihre Lippen zitterten. Schweiß lief ihr aus allen Poren. Kein Schiff am Horizont, nur eine dichte Wolkenbank, die sich grau färbte, nun wo das Feuer des Sonnenuntergangs erloschen war. Bransker würde nicht kommen. Er hatte sie im Stich gelassen. »Es heißt ...«, ihr Blick kreiste hilflos umher, traf eine Palme, »Baum!«
    »›Das Haus liegt im Schoß des dritten Baumes‹?«, wiederholte Dorello. »Na ja, klingt zumindest nach Veribas.«
    Kriss drehte sich zum General. Kaufte er ihr das ab? Sein bärtiges Gesicht war undurchdringlich wie immer. Die Kristalllinse fokussierte sich neu. Dann verengte sich sein Auge aus Fleisch und Blut.
    »Erschießt den Jungen«, sagte er zu seinen Graujacken.
    Kriss gefror. »Nein!« Sie sah, wie Lian die Augen zusammenkniff, aber – dem Weltengeist sei Dank! – die Frau mit dem Zopf und der Glatzkopf mit der gebrochenen Nase zögerten. »General!«, rief Kriss. »W-Wartet! Ich habe Euch alles gesagt, was hier steht!
    »Ihr vergeudet meine Zeit, Doktor.« Ruhndor hob die Hand, um den Befehl zum Feuern zu geben.
    »Schiff in Sicht!«, rief plötzlich eine Stimme von der Morgenstern .
    Kriss sah auf. Am östlichen Horizont durchbrach eine weiße, massige Form die Wolkenbank.
     
    Kapitän Bransker hob das Fernrohr und sah das hässliche Schiff aus Eisen und Dornen über den Klippen liegen. Winzige Gestalten bewegten sich in den Lichtstrahlen, die von ihm ausgingen. Zwei davon kamen ihm selbst auf diese Entfernung sehr vertraut vor.
    »Volle Kraft voraus!«, rief er in das Sprechrohr zum Maschinenraum. »Schiff klar zum Gefecht!«
     
    Lian wusste, wann ihm eine Gnadenfrist in den Schoß fiel.
    Die beiden Graujacken waren nur für einen Moment abgelenkt, aber das reichte ihm. Er sprang vor, packte den Waffenarm des Glatzkopfs und wirbelte den Mann herum.
    Die Frau mit dem Zopf ließ erschrocken ihre Pistole hochschnellen, aber sie feuerte nicht, denn Lian hielt ihren Kameraden vor sich wie ein Schutzschild, wobei er dem ächzenden Mann die Arme auf dem Rücken verdrehte. Seine Pistole war auf dem Boden gelandet, ohne dass sich ein Schuss gelöst hatte.
    »Lass ihn los, Junge!«,

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