Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Morgenstern Euch in Windeseile eingeholt. Wenn Ihr leben wollt, ergebt Euch.«
Kriss sah zu Lian. Genau wie er wich sie vor den anstürmenden Soldaten zurück, Schritt für Schritt, zum Rand der Klippen. Was jetzt? , fragte sie stumm.
»Na, was wohl?« Lian packte den General am Arm und hielt ihm die Pistole unter das Kinn. »Wir springen!«
» Was? «
»Seid vernünftig!«, riet der General.
»Ich sagte: Waffen runter! «
Ein Dutzend Musketen war auf sie gerichtet. Kriss sah die Soldaten vor ihnen. Die Klippen hinter ihnen.
»Denkt nicht mal daran!«, rief Dorello.
Aber Kriss dachte überhaupt nicht mehr. Sie holte tief Luft; nur einen Moment vor Lian drehte sie sich um – und sprang. Lian folgte ihr, riss den General mit sich. Sie stürzten, zwei, drei Klafter tief; Wind pfiff in Kriss’ Ohren, während sie sich die Seele aus dem Leib schrie.
Dann kam der Aufschlag. Die Luft wich ihr in Schwärmen von Blasen aus den Lungen, als sie das kalte, harte Wasser durchbrach und Salz stach in ihre weit aufgerissenen Augen. Sie strampelte wild mit Armen und Beinen, sah Lian, der genau wie sie versuchte, den Fluten zu entkommen, und den General, der sich zur Oberfläche kämpfte. Ruhndors künstliches Auge leuchtete in der nassen Dunkelheit wie Elmsfeuer.
Als sie den Kopf über Wasser bekam, rang Kriss verzweifelt nach Atem, hustete und verschluckte sich. Sie blinzelte sich das salzige Nass aus den Augen, sah nach oben. Ihre Brille hatte sie beim Sturz verloren, aber sie wusste, dass die langen grauen Flecken am Rand der Klippe nur die Leute des Generals sein konnten – und die Dinger, mit denen sie auf das Meer unter sich zielten, Musketen!
Bumm, Bumm, Bumm – die Schüsse zerfetzten die Nacht. Kriss schrie auf, als neben ihr eine Kugel ins Wasser schlug.
»Nur Warnschüsse!«, keuchte Lian hinter ihr. »Sie brauchen ihn noch!«
Kriss paddelte mit den Armen, drehte sich fort von den Klippen, hin zum offenen Meer. Der General schwamm ihnen mit gekonnten Bewegungen davon, aber er war zu langsam. Lian holte weit mit den Armen aus, setzte ihm nach. Er bekam das Bein des alten Mannes zu fassen. Rundor trat nach ihm, doch Lian ließ sich nicht abschütteln. Wasser spritzte und klatschte, als sie miteinander kämpften.
Die Windrose ! Kriss legte den Kopf zurück. Das Schiff war nicht mehr weit entfernt, vielleicht zweihundert Klafter weiter aufs Meer hinaus. An der offenen Tür der Gondel wurde eine Strickleiter herabgelassen, die fast die Wellen berührte. Trotz ihrer brennenden Augen glaubte sie, dort oben im Schiff die vertrauten Umrisse von Lorgis und Barabell ausmachen zu können.
»Worauf wartet ihr?«, herrschte Dorello die Schützen an. »Hinterher! Los!«
Fünf der Soldaten gehorchten. Sie warfen ihre Musketen fort, nahmen Anlauf und stürzten sich in die Fluten. Ein mehrfaches Klatschen ertönte von jenseits der Klippen.
Dorellos Blick fiel auf das sich nähernde Luftschiff. Mein Kompliment, Doktor , dachte er.
»Feuer!«, brüllte Kapitän Bransker. Die Kanoniere der Windrose hatten nur darauf gewartet. Von schrecklichem Lärm und Feuerwerk begleitet, schmetterten sie Splittergeschosse auf das Land über den Klippen. Mit diebischer Freude verfolgte der Kapitän durch das Fernrohr, wie die winzigen grauen Gestalten dort unten zu ihrem eisernen Schiff flohen, während um sie herum Steine, Palmen und Büsche zerrissen wurden. »Mit den besten Empfehlungen von Baronin Gellos, ihr Lumpenpack!«
Der General mochte alt sein, aber er hilflos war er nicht, wie Lian auf die harte Tour erfahren musste. Ruhndors rechter Haken traf seinen Kiefer und ließ Sterne vor seinen Augen aufgehen. Lian warf sich auf ihn, riss ihn mit sich in die Tiefe; er trat nach dem General, aber das Wasser verlangsamte seine Bewegungen, raubte ihnen die Wucht. Ruhndor kämpfte sich zurück an die Oberfläche. Lian folgte ihm. Japsend durchbrach er die Oberfläche, sein nasses Haar klebte ihm im Gesicht – und steinerne Hände legten sich um seinen Hals. Röchelnd umklammerte er Ruhndors Handgelenke, doch der Griff des Generals war unerbittlich wie eine Würgekette. »Ihr begreift nicht!«, rief der alte Mann. »Irgendjemand muss sie aufhalten oder sie werden alles zerstören!«
Er hatte Recht, Lian begriff kein Wort. Er ließ Ruhndors Gelenke los und mit einer Bewegung, die selbst für ihn fast zu schnell war, um sie zu sehen, schmetterte er dem General die Handkanten gegen den Hals. Ruhndors menschliches Auge wurde
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