Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
nervös lächelnd zurück.
Lian und Lorgis hatten sich ihr zugewandt; sie konnte sich die fragenden Gesichter unter ihren Helmen sehr gut vorstellen. »Nichts passiert«, signalisierte sie und setzte ihre Untersuchung fort. Zwecklos, die Zeichen waren alle unlesbar.
Nein. Zumindest eines war nicht verwittert: eine mehrfach geschlungene Schleife, mit einer waagerechten Linie in der Mitte. Kriss wischte den Seerotz ab. Ein Hinweis? Sie hob die Wachstafel; der Holzgriffel war daran mit einer Metallklammer befestigt und zusätzlich durch eine Schnur gesichert. Kriss löste ihn und begann, das Zeichen so getreu wie möglich in das Wachs zu ritzen. Die nächsten vier, fünf Schritte zeigte die Wand nur schleimbewucherten Stein.
Dann entdeckte sie ein weiteres Nabandi-Zeichen: einen unregelmäßigen Kreis mit zwei Querstrichen. War es das, was sie laut Veribas hier finden sollten? Oder doch nur ein Zufall? Sicherheitshalber machte sie eine Kopie von dem Symbol und schritt den Rest der Wand ab. Fehlanzeige.
Sie fuhr zusammen, als etwas ihre Schulter berührte. Lian steht neben ihr; im phosphoreszierenden Licht wirkte sein Gesicht kränklich. Er zeigte zur gegenüberliegenden Wand, an der sie Lorgis’ Gestalt im grünen Schimmer erkannte. Kriss folgte ihm, sorgsam darauf bedacht, nicht auf Lians Luftschlauch zu treten.
Lorgis tippte auf die Wand. Dort gab es drei Zeichen. Zwei davon waren fast völlig unkenntlich, das mittlere hingegen hatte sich tapfer gegen die Elemente gehalten. Kriss machte eine Abschrift und versuchte vergeblich, in den bisherigen Symbolen irgendeinen Sinn zu erkennen. Ergaben sie vielleicht ein bestimmtes Wort? Lorgis führte sie ein paar Schritte weiter und zeigte ihr ein viertes Schriftzeichen, ohne dass es mehr Klarheit brachte.
Gedankenverloren schritt Kriss tiefer in die Kammer hinein. Sie hatte immer mehr das Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein. Hatten die Zeichen vielleicht irgendeine doppelte Bedeutung? Standen sie vielleicht nicht nur für Silben, sondern für eigene Begriffe? Das eine war die Silbe » ni «, die sehr häufig im Nabandi gebraucht wurde, aber gleichzeitig auch für das Substantiv »Arm« stehen konnte. Wenn nur Alrik hier gewesen wäre! Er kannte sich viel besser mit dieser toten Sprache aus; so würde sie ihre Bücher zu Rate ziehen müssen. Aber bevor sie zurück nach oben tauchten, wollte sie sichergehen, dass sie kein Zeichen übersehen hatten.
Auch auf der Wand am anderen Ende der Grabkammer gab es ein Band von Gravuren auf Augenhöhe, doch keine einzige davon war zu entziffern. Kriss fuhr mit den Fingern im Lederhandschuh über den von Seerotz befreiten Stein und hielt den Helm und die Lampe dicht an die Wand. Nein. Keine weiteren lesbaren Zeichen.
Dafür glaubte sie, etwas anderes entdeckt zu haben, das die Dunkelheit bislang verborgen gehalten hatte. Der gespenstische grüne Schimmer der Lampe schälte ein großes Gebilde in der linken, hinteren Ecke der Kammer aus der Schwärze. Stutzend trat Kriss näher. Mehr Details wurden sichtbar. Es war ein hüftgroßes, langes Etwas, unförmig und mit Stacheln besetzt. Es schien massiv zu sein. Was war das? Irgendeine besonders hässliche Statue? Es sah eher aus wie der Panzer einer riesigen Schnecke –
Schrecken durchfuhr sie.
Unmöglich! Sie waren alle längst ausgerottet!
»Panzerkrake!«, schrie sie, doch niemand hörte sie. Sechs Tentakel, fast zwei Klafter lang, schossen aus einer Öffnung in dem Ding, auf sie zu und griffen nach ihr. Im gespenstischen Licht erkannte Kriss Reihen von Saugnäpfen, mit Haken bewehrt.
Sie stolperte zurück, während Lorgis und Lian zu ihr eilten, so schnell es das Wasser zuließ. Die Spitzen ihrer Harpunen voraus näherten sie sich den Fangarmen. Lians Angriff ging ins Leere, ein Tentakel umschlang seinen Oberkörper und drückte ihn wie eine Würgeschlange. Lorgis’ Waffe wurde ihm von einem anderen Arm fortgeschlagen, während ein dritter seine Beine packte und ihn – langsam, ganz langsam – umwarf. Die beiden zappelten im Griff des Kraken, während dieser sie zu sich zog. Kriss konnte ein kreisrundes Maul mit abstoßenden Zähnen zwischen den Wurzeln der Fangarme erahnen.
Ein Tentakel streckte sich nach ihr aus. Sie warf sich zur Seite, vom Wasser abgefangen. Lorgis’ Harpune! Sie warf sich zu Boden; der Tentakel stieß gegen ihre Schulter und schleuderte sie gegen die Wand. Kriss fing den Aufprall ab; sie kam auf die Beine, bevor der Krake wieder nach ihr
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