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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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Niedersinken gehindert wurde. Abermals spürte sie, wie sich die Übelkeit regte, und sie schloss die Augen und holte tief Luft. Dann öffnete sie sie wieder und tat den letzten Schritt.
    Der kräftige Mann an ihrer Seite hielt ihre Hand fest, bis er sicher war, dass sie nicht fallen würde; erst dann ließ er sie los. Sie war zwar in Armenien geboren und aufgewachsen, doch sie war schon seit Jahren mit einem Franzosen verheiratet, und irgendetwas an der Aussprache dieses Mannes klang seltsam, obwohl er flüssig und gebieterisch sprach; sie vermutete, dass er nicht aus Frankreich stammte. Seine drei Begleiter hatten sich mit dem Rücken zu ihr aufgestellt und spähten mit gezogenen Schwertern und erhobenen Schilden in verschiedene Richtungen.
    »Ector, wo sind die Pferde?«
    Jubals Stimme klang leise, aber angespannt. Sein Blick war ruhelos in die Ferne gerichtet, als rechnete er jede Sekunde mit einem Angriff. Der Mann, den er angesprochen hatte, wies mit seinem Schild nach links, wo vier Pferde mit hängenden Zügeln beisammenstanden.
    »Aye, gut. Gehen wir hin und holen sie. Aber passt gut auf. Dies wäre weder ein guter Ort noch ein guter Tag zum Sterben. Also sollten wir versuchen, es zu vermeiden. Mylady, könnt Ihr mit uns zu den Pferden dort drüben gehen?«
    Morfia nickte. Obwohl sie nach wie vor kein Wort über die Lippen brachte, fühlte sie sich mit jeder Sekunde kräftiger. Die vier Männer umringten sie, und sie bewegten sich dicht gedrängt auf die Pferde zu. Ebenso erfreut wie überrascht stellte Morfia fest, dass sie Guillardames Dolch immer noch in der Hand hatte.
    Allerdings erfreute es sie weniger, dass der Rock ihres Kleides kalt und nass an ihren Beinen klebte und sich beim Gehen unangenehm an ihren Beinen rieb. Weil sie daran denken musste, was ihr aus dem zerschmetterten Schädel des toten Ritters in den Schoß geflogen war, zwang sie sich, den Blick nicht zu senken. Doch so standhaft sie auch versuchte, das Gefühl zu ignorieren, konnte sie ihrer Fantasie leider keinen Einhalt gebieten. Sie konnte tatsächlich spüren, wie die glitschige, blutige Masse langsam auf ihre Knie zurutschte. Dann stand plötzlich ein Bild vor ihrem inneren Auge, und sie konnte es nicht mehr ertragen.
    Mit einem angewiderten Stöhnen ließ sie sich würgend auf die Knie sinken und löste den klebrigen Stoff mit beiden Händen von ihrer Haut. Sie beseitigte die eklige Masse, indem sie den fleckigen Rock mit Sand schrubbte. Ihre vier Begleiter blickten ungerührt auf sie herunter.
    Als sie fertig war, hatte sie überall Blut an den Fingern kleben. Auch diese schrubbte sie, bis ihre Hand unter dem rauen Sand zu bluten begann und sie den Brechreiz nicht mehr kontrollieren konnte.
    Als sie dann aufgehört hatte zu würgen, hielt ihr der Mann namens Jubal wortlos die Hand entgegen und half ihr auf. Im ersten Moment stand sie schwankend da, doch dann erlangte sie die Fassung wieder. Sie holte einmal tief und erschauernd Luft, dann setzte sie sich langsam in Richtung der Pferde in Bewegung. Von den vier kräftigen Männern sicher umringt, biss sie im Gehen die Zähne zusammen und machte sich daran, ihre innere Welt wieder gerade zu rücken und wieder die zu werden, die sie war.
    Sie war Morfia von Melitene, nun Morfia von Jerusalem, die Frau des mächtigsten Mannes in Outremer, nämlich Baldwins des Zweiten, des unlängst gekrönten Königs von Jerusalem, der bis vor einem Jahr Graf Baldwin de Bourcq gewesen war, der Herr der Grafschaft Edessa, die weit nördlich von Jerusalem und dicht bei ihrer armenischen Geburtsstadt lag.
    Der erste König Baldwin war ein Bruder des heldenhaften Gottfried von Bouillon gewesen, der die siegreichen Frankenlegionen auf ihrem ersten Feldzug ins Heilige Land angeführt hatte. Er hatte achtzehn Jahre lang regiert, bis er im Vorjahr gestorben war, ohne einen Erben zu hinterlassen. Die Königswürde war deshalb an Morfias Gatten übergegangen, der nicht nur sein Namensvetter war, sondern auch sein nächster Verwandter.
    Morfia hatte Baldwin im Jahr 1102 geheiratet, kurz nach seiner Ernennung zum Grafen von Edessa, und sie hatte ihm in den folgenden Jahren vier Töchter geboren. Die älteste, Melisende, war im Jahr 1105 geboren und war jetzt dreizehn; die jüngste, Joveta, war noch keine sieben. Morfia war eine gute und treue Ehefrau und Mutter, und es hatte ihr immer große Genugtuung bereitet, die Gemahlin des weithin bewunderten Grafen von Edessa zu sein. Doch es hatte niemanden mehr

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