Der Schatz des Blutes
Moment wurde ihre Kutsche so heftig geschüttelt, dass sie gegen die rechte Seitenwand geworfen wurde. Dort stützte sie sich mit den Armen ab, ohne jedoch den Dolch loszulassen, als sich plötzlich ein Arm durch das gegenüberliegende Fenster schob und den Vorhang abriss. Ein Mann war auf die Kutsche gesprungen und betrachtete sie jetzt mit seinem gierigen Gesicht, aus dem ihr schwarze Zähne entgegengrinsten, als ergötzte er sich an seiner Beute.
Morfia richtete sich auf und umfasste den Dolch noch fester, um sich auf den Mann stürzen zu können, sobald er versuchen sollte, die Kutschentür zu öffnen oder sich ihr sonstwie zu nähern. Sie hielt den Atem an, als sie sah, wie er seine Klauenfinger nach ihr ausstreckte, auch wenn sie wusste, dass er zu weit weg war, um sie zu berühren.
Dann war er auf einmal fort, bevor sie begreifen konnte, was geschehen war. Drei schwere, mit Stacheln gespickte, an Ketten befestigte Metallkugeln waren mit tödlicher Wucht gegen seinen Kopf und seine Schulter geprallt, hatten ihn nach hinten gerissen und ins Jenseits befördert. Sie sah, wie ihn die Kugeln trafen. Die eine zerschmetterte ihm das halbe Gesicht, die zweite schlug ihm den mit einem Tuch umwickelten Schädel ein, und die dritte bohrte sich in seine Schulter. Das alles geschah gleichzeitig mit einem einzigen lauten Knirschen.
Morfia spürte erneut, wie die Übelkeit in ihr aufstieg, doch sie kämpfte sie nieder, fest entschlossen, alles zu tun, um ihr Leben zu retten. Dann sah sie, wie ein von Kettenhemd und Handschuh geschützter Arm unter einem hellblauen Mantel nach ihrer Tür griff. Die Kutsche schwankte erneut, als ein zweiter Mann aufsprang und den Kopf durch ihr Fenster steckte.
Es war ein junger Mann, der einen flachen Metallhelm über einer Kettenpanzerkapuze trug. Darunter blickte ihr ein tief gebräuntes Gesicht mit einem kurzen schwarzen Bart und brennenden, dunkelbraunen Augen entgegen, die sich vor Schreck weiteten, als er sie entdeckte. Er schien ein paar Sekunden wie vom Donner gerührt, dann wandte er sich um, um das Geschehen hinter sich zu betrachten.
»Eure Pferde sind tot, Mylady«, sagte er laut. »Daher ist es mir nicht möglich, Euch an einen sicheren Ort zu bringen, und es wäre zu gefährlich, Euch auf meinem Pferd mitzunehmen. Also werde ich eine Weile hierbleiben und über Euch wachen. Jubal!«, bellte er und winkte dabei mit dem Arm, um einen weiteren Mann auf sich aufmerksam zu machen. Dann ließ er die Tür los, sprang zu Boden und wandte Morfia den Rücken zu.
»Hierher, zu mir, und bring noch drei Männer mit.«
Er wandte sich wieder um. Morfia lugte jetzt aus dem Fenster und betrachtete das Schlachtfeld, das sie umgab. In ihrer unmittelbaren Nähe wurde nicht mehr gekämpft, doch es kam ihr trotzdem so vor, als sähe sie überall nur Gruppen von Kämpfenden.
»Mein Diener Jubal wird sofort hier sein, Mylady, und er wird für Eure Sicherheit sorgen, bis wir hier fertig sind.«
Noch bevor der Ritter seinen Satz beenden konnte, kam der Mann angelaufen, gefolgt von drei anderen – sie alle trugen das gleiche schlichte braune Tuch über ihren Kettenhemden. Der Ritter in Blau wandte sich ihm zu.
»Kümmere dich um die Dame, Jubal. Beschütze sie. Ich bin gleich zurück.«
Er warf noch einen Blick auf Morfia und hob die Hand an seine behelmte Stirn, dann wandte er sich ab und griff nach den Zügeln seines Pferdes. Eine Sekunde später saß er im Sattel und galoppierte auf die Kämpfenden zu, die sich inzwischen etwas entfernt hatten.
Morfia fühlte sich in ihrem Inneren wie ausgehöhlt; ihr Mund war trocken, und ihre Zunge klebte am Gaumen fest. Sie versuchte zu schlucken, konnte es aber nicht, und wieder regte sich Panik in ihr. In diesem Moment jedoch murmelte der Mann namens Jubal seinen Begleitern etwas zu und näherte sich dann der Kutsche, um die Tür zu öffnen. Er riss die Augen auf, als er die blutige Leiche sah, und er rümpfte angewidert die Nase, als er den Gestank roch.
»Uff!«, grunzte er und fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Ihr müsst sofort aussteigen, Mylady. Nehmt meine Hand, und ich helfe Euch herunter.«
Noch nie in ihrem Leben hatte Morfia so bereitwillig die Hand eines Untergebenen ergriffen.
Sie trat durch die Tür und blieb einen Moment auf dem Trittbrett stehen. Dabei versuchte sie, den Blick nicht auf die Leiche des jungen Antoine de Bourgogne zu richten, der auf den Knien vornüber lehnte und durch den Speer, der ihn durchbohrt hatte, am
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