Der Schatz des Blutes
ausgefülltes Leben, und seine Pflicht ließ ihm keine Zeit für die Suche nach einer neuen Frau oder für seinen heranwachsenden Sohn, sodass er erst, als dieser schon erwachsen war, begriff, dass Stephen … ein ganz besonderer Mensch war. Robert hatte keine Ahnung, was er mit ihm anfangen sollte. Der Junge war in allen Kampfdisziplinen unbesiegbar, doch er verbrachte jede freie Minute im Gebet. Sein Vater hatte das verständlicherweise für unnatürlich gehalten.
Doch dann hatte das Schicksal Hugh de Payens in die Hände gespielt.
»Erinnert Ihr Euch noch, Bischof, dass uns Graf Fulk von Anjou vor zwei Jahren besucht hat?«
Der Patriarch nickte, und de Payens fuhr fort.
»Aye, nun, als er nach Anjou zurückkehrte, waren Vater und Sohn St. Clair dort zu Besuch, und Fulk muss Robert sehr begeistert von unserer Bruderschaft erzählt haben. Robert hat sich natürlich an mich erinnert, und er hatte das Gefühl, dass unsere Arbeit hier genau das Richtige für seinen Sohn sein könnte – und Stephen war derselben Meinung. Innerhalb kürzester Zeit befand er sich auf einem Schiff, das ihn über Zypern hierhergebracht hat. Er ist zwar noch sehr jung, aber er scheint mir perfekt geeignet zu sein für –«
Der Patriarch wartete zwei Herzschläge ab, dann fragte er: »Perfekt geeignet wofür?«
Doch de Payens blickte in eine andere Richtung und bat ihn mit einer Geste zu schweigen. Leicht entrüstet richtete sich der Patriarch zu voller Größe auf.
»Was? Was ist los? Warum antwortet Ihr nicht?«
Doch noch während er die Frage aussprach, sah er die Antwort selbst. Ein prachtvoll gekleideter Offizier, der von drei weniger auffallenden Erscheinungen flankiert wurde, hatte sich ihnen von hinten genähert und passierte sie jetzt, sehr vorsichtig auf dem steinigen Untergrund. Er hielt auf die fünf Kämpfer zu, die immer noch dastanden und sich unterhielten. Ihre hellblauen, mit goldenen Eicheln verzierten Übergewänder wiesen die Neuankömmlinge als Mitglieder der Palastwache aus. Die fünf Ritter, die ihre eigenen, wenn auch schlichten braunen Uniformen trugen, bemerkten sie, kurz bevor sie sie erreichten. Argwöhnisch und herausfordernd wandten sie sich den Palastwachen zu, die abrupt vor ihnen stoppten, doch de Payens und der Patriarch waren zu weit von ihnen entfernt, um zu verstehen, was gesagt wurde. Nur die Stimme des Hauptmanns, der mit dem jungen Ritter sprach, drang zu ihnen.
Dann wandte sich de Payens vollständig um und sah eine geschlossene Kutsche, die von zwei Pferden gezogen wurde und von einer großen Eskorte umringt war. Die Vorhänge in der Kutsche waren zugezogen.
»Die königliche Kutsche«, sagte er leise zu Picquigny. »Ob das die Königin ist?«
Auch der Patriarch sah sich jetzt um, schüttelte aber den Kopf.
»Nein, nicht die Königin, nicht heute. Ihre Gnaden ist schon seit einigen Tagen krank – nichts Ernstes, aber ernst genug, um sie an ihre Gemächer zu fesseln. Der König ist es auch nicht. Er wäre längst bei uns, um sich mit uns zu unterhalten. Nein, es muss eine der Töchter sein – mindestens eine. Die Kutsche ist zwar groß genug für alle vier, aber ich bezweifle, dass sich nur eine von ihnen dazu herablassen würde, eine Fahrt mit einer der anderen zu unternehmen.«
Er spähte nach links, wo der junge Ritter und seine Begleiter nun mit dem Hauptmann auf die Kutsche zugingen. Die drei anderen Wachen flankierten sie unauffällig. Die vier älteren Ritter hatten ihre Schwerter in die Scheiden gesteckt, aber der junge St. Clair hatte sich das seine beiläufig über die Schulter gelegt, und seine lange Klinge glänzte in der Sonne.
»Alice«, sagte Warmund von Picquigny mit einem seltsam resignierten Unterton. »Das kann nur Alice sein. Nur sie ist so kühn, jeden Anstand zu vergessen. Euer Ritter könnte in Gefahr sein, de Payens.«
»Durch die Prinzessin?« De Payens lachte. »Aber sie ist doch nur ein winziges Ding.«
»Ich meine damit keine Gefahr für Leib und Leben, sondern für seine Seele. Am besten gehen wir hinüber und versuchen zu retten, was zu retten ist. Die Prinzessin wird gewiss … entzückt sein, mich hier zu sehen.«
De Payens konnte den triefenden Sarkasmus in den Worten des Bischofs hören, doch er hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war. Deshalb beschloss er, den Mund zu halten und nur zu sprechen, wenn man ihn dazu aufforderte. Er folgte dem Patriarchen.
Aus dem Halbdunkel im Inneren der Kutsche bemerkte Alice, wie sich die beiden älteren
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