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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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wahr?«
    Er runzelte die Stirn, als wüsste er nicht, was er darauf antworten sollte, und Alice brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er es tatsächlich nicht wusste.
    »Ist es möglich, dass Ihr noch nie einen Teppich gesehen habt, Bruder Stephen?«
    Er schüttelte den Kopf, eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen.
    »Nein, Mylady, so etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist das, und wozu ist es gut?«
    »Gut?« Sie lachte, entzückt über seinen sichtlichen Mangel an Weltgewandtheit. »Man legt sie auf den Boden und geht darauf. Es muss doch Teppiche in der Christenwelt geben? Jeder hat Teppiche.«
    Er fuhr plötzlich zu ihr herum und sprach sie mit zusammengebissenen Zähnen an. Seine angespannten Kiefermuskeln ließen ihn wütend aussehen, obwohl sie wusste, dass er nicht wütend war.
    »Da, wo ich herkomme, Mylady, sind die Fußböden aus Lehm, und wir bestreuen sie mit getrockneten Binsen, die Schlamm und Wasser aufsaugen. In England regnet es viel, Mylady, und die Tage sind meistens kalt und nass und unfreundlich. Kurze Sommer und wenig Sonne. Wenn wir so etwas wie diese Teppiche hätten«, er wies mit der Hand auf Suleimans Waren, »so würden wir sie an die Wand hängen, um den Durchzug fernzuhalten. Wir haben Wandbehänge, aber sie sind lieblos gemacht. So etwas Herrliches haben wir nicht – all diese Farben und weichen Materialien. Es wäre eine Sünde, so etwas Schönes auf einen festgetretenen Lehmfußboden zu werfen, wo es nur in den Schlamm getreten und von den Hunden besudelt würde.«
    Er räusperte sich, bevor er fortfuhr.
    »Natürlich weiß ich, dass in diesem Land alles anders ist. Alles ist wärmer. Sauberer. Geräumig und luftig. Das liegt an der Hitze. Wenn es nicht ständig nass und kalt ist, kann man vieles anders machen. Aber die Fußböden in unserem Quartier sind aus Stein, und auch hier sind sie mit Stroh bestreut –«
    Er brach ab, weil ihm bewusst wurde, dass er sie direkt ansah und sie seinen Blick mit einem Lächeln erwiderte. Sie wartete, und als sie merkte, dass er nichts mehr sagen würde, lachte sie laut.
    »Ihr könnt ja sprechen. So viel habe ich Euch noch nie auf einmal sagen hören, Bruder Stephen. Wusstet Ihr das?«
    Er zog ein sorgenvolles Gesicht.
    »Jetzt weiß ich es. Und ich bin Bruder Stephen. Ich sollte gar nicht hier sein.«
    »Oh, bitte, bitte, bleibt und esst etwas mit mir. Da kommt es ja schon.«
    Der junge Ritter verharrte unsicher, doch auf Alices Geste ließ er sich schließlich auf einen der drei Stühle sinken, die Suleiman für seine Kunden bereitstehen hatte.
    Fast eine Stunde lang bemühte sich die Prinzessin gewissenhaft, ihm seine Anspannung zu nehmen und ihn für ihre Reize empfänglich zu machen.
    Sie servierte ihm Honigplätzchen, die ihre Bediensteten speziell für sie mitgebracht hatten und die mit geriebenen Mandeln gebacken waren – und einer gehörigen Dosis des Opiats, das sich Haschisch nannte.
    Nach wie vor ahnte sie nicht, dass sein zerbrechliches Selbstbewusstsein daher rührte, dass er hoffnungslos von ihr besessen war. Er hatte sich in ihrer Nähe stets gehemmt und wortkarg verhalten. Alice hatte dies als Teil seines natürlichen Charmes betrachtet – der schüchterne Junge im Körper eines Helden. Nichts deutete daraufhin, dass er im Wachen wie im Schlaf von ihr träumte – und deshalb von tiefer Schuld erfüllt war. Und so schritt Alice zuversichtlich weiter voran, ohne etwas davon zu merken, wie nah er der Verzweiflung war.
    Um ihn in Sicherheit zu wiegen, vermied sie jedes verführerische Verhalten und behandelte ihn stattdessen so natürlich, wie sie glaubte, dass eine Schwester es tun würde.
    Doch anstatt sich in ihrer völlig ungekünstelten Gegenwart zu entspannen, sah St. Clair viel mehr, als sie ihm zeigte: Er sah, wie ihre Gewänder sie unter dem formlosen Übergewand umschmeichelten und ihre Rundungen nachzeichneten; er sah, wie sie sich niedersetzte und sich in ihrem Sessel zurücklehnte, sodass ihre Brüste betont vorstanden, und ihre Oberschenkel, die unter dem dünnen Stoff ihres Kleides so deutlich gespreizt waren, wurden der unwiderstehlichste Anblick des ganzen Universums.
    Er wand sich im Geiste vor Schuld und Selbstverachtung, denn er glaubte, seine Lust sei eine Abartigkeit – ein Verbrechen an einer unbefleckten, unschuldigen jungen Frau.
    Hätte Alice nur einen Hauch vermutet, was in seinem Kopf vorging, wäre sie außer sich vor Glück gewesen und hätte ihre Gefühle sehr viel aggressiver gezeigt.

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