Der Schatz des Blutes
auf eine gewisse Entfernung nähert, erscheint jemand, der ihn fortschickt … zwar immer freundlich und liebenswürdig, aber dennoch immer . Wer würde denn einen Wachtposten vor einer Latrine aufstellen? Ich habe es wochenlang beobachtet, und niemals ist ein Sergeant durch diese Tür geschritten.«
»Und das hat deinen Argwohn geweckt, oder gibt es etwas, was du mir noch nicht erzählt hast?«
Der schmächtige Mann schüttelte den Kopf. »Nein, das ist alles.«
»Ich verstehe. Nun, du wirst das wahrscheinlich nicht gern hören, Gregorio, aber deine Vermutungen interessieren mich nicht. Dafür wirst du nicht bezahlt. Verdächtigungen und Vermutungen kann ich selbst in die Welt setzen, so viel ich will, über alles und jeden, auch über dich. Was ich von dir verlange, du kleines Licht, sind handfeste Tatsachen und die Beweise dafür. Deine Vermutungen zählen nicht dazu, solange du nichts mit Sicherheit sagen kannst und dir die Beweise fehlen. Verstehst du mich, Gregorio?«
Gregorio nickte, und der Bischof brummte nur als Antwort. Er beugte sich wieder vor und griff nach seiner Feder.
»Dann geh, und komm erst wieder, wenn du mit Gewissheit sagen kannst, dass du auf der richtigen Fährte bist.«
Odo hatte sich bereits in seine Arbeit vertieft, bevor sich Gregorio auch nur abwenden konnte. Doch sobald sich die Tür hinter seinem Spitzel schloss, erhob sich der Bischof, warf sein Schreibwerkzeug auf den Tisch und schritt zum Fenster, das auf einen der kleineren Höfe des Königspalastes hinunterblickte. Dort plätscherte ein Marmorspringbrunnen, der von Palmen umstanden war.
Odo war wütend, und er war eifersüchtig. Zwar war Wut für ihn nichts Neues, doch Eifersucht war es mit Gewissheit. Damit konnte er nicht umgehen.
Er machte sich keine Illusionen über das, was er empfand. Natürlich hätte er die gesamte Schuld gern auf die Prinzessin geschoben, und er hätte jedem detailliert schildern können, wie geschickt sie ihn umgarnt hatte. Doch natürlich konnte er mit niemandem darüber reden, und im Grunde seines Herzens kannte er auch die Wahrheit: Alice traf keine Schuld. Sie hatte ihn nicht gezwungen, mit ihr zu schlafen, weder beim ersten Mal noch später. Er hatte selbst zugelassen, dass er so vernarrt in sie war, obwohl er wusste, dass die Prinzessin die Beine jederzeit nach Lust und Laune für jeden breit machen würde, der ihr Interesse weckte. Sie schien unersättlich zu sein. Sie war eine Schönheit, und sie war jung – und darin lag der Grund für seine Eifersucht. Mit zweiundvierzig war er nicht mehr jung genug, um Alice auf die Dauer zu befriedigen. Schon als es vor vier Jahren begonnen hatte, war er nicht mehr jung genug gewesen.
Außerdem hatte er von Anfang an genau gewusst, warum ihm ihre Gunst zuteil wurde. Er war ihr Beichtvater, und als sie zur Frau zu werden begann, hatten ihn ihre detaillierten Schilderungen ihres körperlichen Erwachens in tiefe Erregung versetzt. Monatelang hatte sie ihm ausführlich davon berichtet, wie sie sich zu einem der jüngeren Höflinge ihres Vaters hingezogen fühlte und welche Fantasien sie um ihn spann. Sie hatte immer größere Freude daran gefunden, ihrem Beichtvater aufs Intimste zu erzählen, wie sie den arglosen Mann verführt hatte. Erst als er ihrem Charme selbst vollständig erlegen war, hatte Odo herausgefunden, welch perverse Freude sie daran gehabt hatte, den Mann hinter dem Gitter des Beichtstuhls zu manipulieren. Als die Zeit gekommen war, ihn zu verführen, war sein Untergang schon von langer Hand vorbereitet.
Natürlich hatte sie ihren Preis. Als Gegenleistung für die Benutzung und den Genuss ihres herrlichen jungen Körpers lieferte Odo der Prinzessin Informationen; wichtige und streng vertrauliche Informationen über alles, was sich hinter den verschlossenen Türen der königlichen Ratsversammlungen abspielte. Die Tatsache, dass sie anfangs erst vierzehn war, war dabei kein Hinderungsgrund gewesen. In ihrem Herzen und ihrem Verstand war Alice de Bourcq nie ein Kind gewesen. Schon damals war sie eine Frau von großer Raffinesse gewesen, deren wacher Verstand die Kunst der Intrige perfekt beherrschte. Sie hatte schon konkrete Pläne für ihr Leben geschmiedet, als ihre Freundinnen und Geschwister noch im Sandkasten spielten.
Odo hatte das gewusst, genau wie er gewusst hatte, dass sie versuchen würde, ihn sich unterwürfig zu machen und ihn für ihre Ziele zu benutzen. Das hatte ihm widerstrebt. Doch als es darum ging, seine Skrupel gegen
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