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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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uns heute keine gotteslästerliche Vorstellung sein, weil die Christen jede ihrer Kirchen als Haus Gottes betrachten und damit meinen, dass sie Orte des Gebetes sind; Orte, an denen wir uns versammeln können, um Gott zu ehren und zu preisen.«
    Stephen, der gar nichts mehr verstand, nickte trotzdem.
    »Das war bei den Juden anders. Sie hatten nur einen Tempel. Er stand in Jerusalem, und er war wirklich das Haus Gottes. Jahwe, ihr Gott mit dem unaussprechlichen Namen, wohnte mitten darin, im Allerheiligsten. Deshalb musste jeder, der den Tempel betreten wollte, sich einer Reihe von Ritualen unterziehen. Wer dort eintrat, begab sich in die Gegenwart Gottes, des Judengottes. Er weilte nicht im Himmel oder im Paradies, sondern er lebte unter seinem auserwählten Volk, in dem Tempel, den dieses ihm erbaut hatte. Als Herodes daher seine eigenen Priester, seleukidische Priester, damit beauftragte, sich um den Tempel zu kümmern, beleidigte er damit jeden Juden, der etwas auf sich hielt.«
    William ließ beide Hände auf seine Oberschenkel sinken.
    »So sahen also die politischen Fronten in Judäa um die Zeit der Geburt Christi herum aus. An der Macht waren die nichtjüdischen Herodianer unter Herodes Antipas, die die römischen Armeen im Rücken hatten. Dagegen standen die Juden – Hebräer und Israeliten –, die sich in Hunderten von Sekten zusammengeschlossen hatten und voller Unruhe auf den Messias warteten, den jüdischen König, der sie befreien würde. Wie aus einem Munde schrien sie nach Unabhängigkeit, Selbstverwaltung und Befreiung von den Römern. So unterschiedlich die Standpunkte der einzelnen Sekten teilweise waren, so geeint waren sie doch in ihrem Ziel, sich aus den fremden Ketten zu befreien, die sie gefesselt hielten.«
    Er hielt inne und sah Stephen an.
    »Konntest du mir bis hier folgen?«
    »Aye, ich glaube schon.«
    »Gut. Nun geht es weiter.«
    William sah den Grafen an und zog die Augenbrauen hoch.
    »Möchtest du weitermachen, Hugh?«
    Doch Graf Hugh schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Nein, du machst deine Sache sehr gut.«
    »Also schön.«
    William dachte kurz über seine nächsten Worte nach, dann begann er.
    »Es ist nicht leicht, das alles kurz zusammenzufassen – aber wie gesagt – die jüdischen Sekten waren alle in einer Bewegung geeint, auch wenn es keinen Namen für diese Bewegung gibt. Ihre Gegner, die Pharisäer und die Herodianer, betrachteten sie als messianische und damit als kriegstreiberische Bewegung, die darauf abzielte, die Autoritäten in Jerusalem zu stürzen und eine nationalistische Regierung einzusetzen. So konnten sich die Herodianer vor den Römern als Vertreter von Recht und Ordnung präsentieren und als die Bewahrer des Status quo. Und da der Status quo römerfreundlich war, war das Schicksal der revoltierenden Juden besiegelt …«
    Sir William runzelte die Stirn und holte tief Luft.
    »Doch das Ganze war noch komplexer. Diese Bewegung war nicht einfach patriotisch im römischen Sinne. Für die Römer war Patriotismus lediglich gleichbedeutend mit Heimatliebe – für die Juden bedeutete es, Gott zu lieben, Gottes auserwähltes Volk zu lieben und die Heimat dieses Volkes – Gottes Heimat. Das hat zu den folgenden Problemen geführt.«
    Er verstummte, und Stephen drängte ungeduldig: »Was ist dann passiert?«
    »Wie gesagt, nichts, das sich leicht erklären lässt, aber ich werde es versuchen. Der Kampf der Juden war damals auch ein Kampf der Klassen; derer, die nichts hatten, gegen die, die alles hatten. Die Herodianer waren die herrschende Klasse; sie hatten alles. Und sie hatten es mit Hilfe der Römer an sich gebracht, die wiederum froh waren, einen römerfreundlichen Vasallen an der Macht zu wissen.«
    »Halt. Was genau bedeutet der Begriff Herodianer in diesem Zusammenhang?«
    Sir William zog eine Augenbraue hoch und räusperte sich.
    »Denk nach, Junge. Herodes’ Familie war an der Macht, und sie hat diese Macht benutzt, um neue Priester einzusetzen, neue Steuereintreiber und hundert andere Amtsträger, die ihnen dann natürlich treu ergeben waren wie ein Vasall seinem Lehnsherrn.«
    Stephen verstand den Vergleich mit dem fränkischen Feudalsystem sofort und nickte. Sir William fuhr fort.
    »Die Juden dagegen waren besitzlos im eigenen Land – schlimmer noch, viele von ihnen schuldeten den Herodianern Geld. Stets steigende Steuern, darunter auch Tempelabgaben, zwangen die Menschen in die Armut, und sie mussten sich allein schon deshalb Geld leihen, um

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