Der Schatz des Blutes
von Anfang an Konflikte zwischen dem Priester- und dem Ritterstand gegeben, die noch dazu mit der Zeit eher gewachsen als zurückgegangen waren. Die Ritter der Christenwelt waren zu einem solch ungezügelten, gesetzlosen Heer herangewachsen, dass sie drohten, die gesamte Zivilisation mit Anarchie zu überziehen – bis Papst Urban sie ausgesandt hatte, um das Heilige Land aus den Klauen der Ungläubigen zu befreien.
Und nun war das Heilige Land voller Ritter, die wenig Ähnlichkeit mit wirklichen Christen hatten, fern von gesellschaftlichen Verpflichtungen und den besänftigenden Einflüssen ihrer Frauen und Familien. Sie waren Krieger im brutalsten Sinne des Wortes. Viele von ihnen lebten so zügellos, dass kein vernünftiger Mensch die Gründung eines Ritterordens je für möglich gehalten hätte – bis Warmund von Picquigny es getan hatte.
Bis der Erzbischof diesen einmaligen Schritt getan hatte, hatte ein Kirchenmann nie Waffen tragen dürfen, denn das fünfte Gebot, »Du sollst nicht töten«, galt für die Angehörigen der Kirche ganz besonders.
Doch harte Zeiten erforderten harte Maßnahmen, und Warmund von Picquigny hatte dies begriffen. So hatte er eine neue Sorte von Dienern Gottes ins Leben gerufen, für die es nicht nur verzeihlich, sondern sogar lobenswert war, im Namen Gottes und Seiner Heiligen Kirche zu töten – eine Tatsache, an der der Patriarch absolut nichts Scheinheiliges zu finden schien. Auch Graf Hugh begrüßte den neuen Ritterorden als Werkzeug, um die Ziele des Ordens voranzutreiben – und in Stephen St. Clair hatte er eine ganz besondere Geheimwaffe gesehen.
Jetzt, da er ein gestandenes Mitglied einer Gemeinschaft war, die jedermann bewundernd als Retter des Heiligen Glaubens betrachtete, ertappte sich St. Clair oft dabei, dass er reumütig den Kopf schüttelte. Er wusste genau, dass es seinen Brüdern nicht anders ergehen konnte, denn sie gehörten dem Orden der Wiedergeburt in Sion an, was nun einmal bedeutete, dass sie keine Christen waren.
Dieses war das größte Geheimnis ihrer Bruderschaft. Sie hüteten es buchstäblich mit ihrem Leben, denn wenn die Wahrheit ans Licht kam, würden sie alle des Todes sein.
Jeder von ihnen entstammte einer christlichen Familie, und ihre Eltern und Geschwister waren Christen – genau wie die Sergeanten, die ihnen treu dienten und bei den Patrouillen unentbehrlich waren.
Doch die neun Ritter selbst hatten dem Christentum abgeschworen, als man sie geweiht hatte, die einzigen männlichen Mitglieder einer jeden Generation der befreundeten Familien, die in den Orden der Wiedergeburt aufgenommen wurden.
Auch heute noch war dies ein Gedanke, der St. Clair erstaunte. Die Verleugnung des Christentums war für jeden von ihnen eine weitreichende Entscheidung gewesen, für die es besonderer Gründe bedurfte. Niemand hatte von ihnen verlangt, ihre frühere Religion zu verdammen. Umgeben von der Wärme und dem Vertrauen ihrer engsten Freunde, hatten die Neulinge stattdessen einfach nur erfahren, dass es andere, ältere Wege zur Erleuchtung gab und dass sie und ihre Vorfahren einer solchen Tradition entstammten.
Ihre jüdischen Wurzeln überraschten die meisten neu geweihten Mitglieder, bis sie nach eingehendem Studium der Überlieferungen des Ordens begriffen, dass es dieselben Wurzeln waren, denen auch das Christentum entstammte.
Stephen St. Clair hatte Schwierigkeiten damit gehabt, sich dies einzugestehen. Er konnte sich gut an das Gespräch erinnern, das ihn schließlich umgestimmt hatte. Diese Erinnerung beschäftigte ihn noch, als er sich Stunden später erschöpft in sein Bett sinken ließ, wo er sich schlaflos hin- und herwälzte, weil ihn der Tumult in seinem Kopf trotz seiner Müdigkeit nicht zur Ruhe kommen ließ.
5
W
AS STEPHEN STETS ALS ERSTES einfiel, wenn er an seinen Onkel Sir William St. Clair dachte – und wie immer musste er darüber lächeln, dass dies auch nach so langer Zeit noch sein erster Gedanke war –, war, dass er viel zu jung zu sein schien, um schon Onkel zu sein.
Stephen hatte gedacht, ein Onkel stünde auf derselben Stufe wie ein Vater – beides Angehörige einer älteren Generation und von einem jungen Mann seines Alters durch Welten getrennt. Dieser Onkel jedoch war der jüngste Halbbruder seines Vaters gewesen, ein Nachkomme des älteren Stephen St. Clair und seiner jungen Frau, die er nach dem Tod seiner ersten Gemahlin geheiratet hatte.
Und Sir William St. Clair hatte nicht nur wegen seiner erstaunlichen
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