Der Schatz des Blutes
bei meinem Neffen ebenfalls tun.«
Der Graf hätte gern abgelehnt und lieber zugehört, doch William weigerte sich weiterzuerzählen, und so zuckte Graf Hugh schließlich mit den Schultern und seufzte.
»Heutzutage wird großes Aufsehen um das Kreuz gemacht, Stephen, und um die Tatsache, dass die Juden Christus gekreuzigt haben. Davon weißt du natürlich.«
Stephen nickte stirnrunzelnd.
»Natürlich, Mylord. Das weiß doch jeder.«
»Ah, jeder «, sagte Graf Hugh ernst und schüttelte den Kopf. »Dinge, die ›jeder‹ weiß, sollten stets deinen Argwohn wecken, junger Mann, weil sie selten zutreffen. Beginnen wir also mit etwas, das wir beweisen können: Die Juden haben Christus nicht gekreuzigt. Wir können sogar noch weitergehen: Die Juden haben Christus auch nicht gehasst , weil sie nie von ihm gehört hatten. Niemand hatte je von ihm gehört, weil es diesen Namen gar nicht gab, bis Saulus – oder auch Paulus – ihn Jahre nach dem Tode Jesu zum ersten Mal benutzt hat. Christos war ein griechisches Wort, das der Gesalbte oder – übertragen – der Retter bedeutete, und erst Paulus hat es Jesus angehängt, als Zeichen für seine angebliche Göttlichkeit.«
Der Graf griff nach seinem Weinbecher, um sich die Kehle zu befeuchten.
»Genauso wenig lässt sich behaupten, dass die Juden den Menschen Jesus gehasst haben, weil Hass etwas ist, das der Anstrengung und der Hingabe bedarf. Sie hatten aber gar keinen Grund, Jesus kollektiv zu hassen. Er war schließlich einer von ihnen, ein Mitglied ihrer Bewegung und ein Bürger Judäas. Angesichts des gewaltigen Hasses zwischen Herodes und seinen Anhängern und dem jüdischen Volk ist es unwahrscheinlich, dass die Juden Jesus gehasst haben, denn er gehörte zum auserwählten Volk.«
Abermals trank der Graf einen Schluck Wein.
»Und sie haben ihn auch ganz bestimmt nicht gekreuzigt, denn das lag gar nicht in ihrer Macht. Die Kreuzigung war eine Strafmethode der Römer . Genauso wenig haben die Juden nach dem Blut Jesu geschrien. Kannst du dir vorstellen, dass eine Menschenmenge den Zorn Gottes auf sich und ihre Kinder herabruft, und das nicht nur freiwillig, sondern auch spontan? Es ist nicht zu glauben, und doch glauben die Leute es. Du glaubst es doch auch, oder?«
»Ob ich es glaube?«
Diese Frage traf Stephen völlig unvorbereitet, und er starrte den Grafen mit offenem Mund an, bis sich dieser erbarmte.
»Natürlich glaubst du es, denn dir bleibt ja gar nichts anderes übrig. Schließlich haben die wichtigsten Menschen in deinem Leben dir gesagt, dass es stimmt … dass du es glauben musst , weil man dich sonst exkommunizieren wird und du in der Hölle schmoren musst. Die Kirche sagt es dir. Jeder Priester sagt es dir. Jeder Mönch wird es dir sagen, wenn du ihn auf der Straße anhältst und ihn danach fragst. Und nirgendwo gibt es den geringsten Hinweis darauf, dass es anders gewesen sein könnte. Nirgends. Was willst du also anderes tun als zu glauben, was man dir sagt?«
Mit einer dramatischen Geste hielt er inne.
»Aber reden wir noch einen Moment über die Kreuzigung – über die Kreuzigung. Darüber, wie die Römer und die Juden danach getrachtet haben, den Sohn Gottes zu erniedrigen, indem sie ihn unter Hohn und Spott an ein Kreuz gehängt haben, als sei die Kreuzigung eigens erfunden worden, um Schande über Jesus zu bringen. Darüber weißt du doch Bescheid, nicht wahr?«
»Ich …«
Stephen zögerte und zuckte dann ratlos mit den Schultern.
»Vor wenigen Minuten hätte ich noch ja gesagt, aber jetzt …«
»Und das ist genau richtig. Es ist richtig, dass du zweifelst; richtig, dass du Fragen stellst, denn an einer Kreuzigung war nichts Besonderes, außer natürlich für den Bestraften. Es war etwas ganz Alltägliches. Die Kreuzigung war in der Römerzeit die häufigste Hinrichtungsart für Verbrecher. Ganz gleich, ob es Diebe, Mörder, politische Rebellen oder Deserteure waren. Wenn die Römer einen Mann zum Tode verurteilten, dann starb er. Wenn er reich war oder Verbindungen hatte, war es möglich, dass er einen schnellen Tod starb, durch Gift oder durch das Schwert. Doch wenn der Staat ein öffentliches Spektakel daraus machen wollte, das anderen als Exempel diente, dann wurde er gekreuzigt und starb langsam und qualvoll. Jesus ist als politischer Verbrecher verurteilt worden … als Rebell. Genauso ist er gestorben. Und außer seinen Freunden hat es niemanden interessiert …«
Der Graf hielt inne, um diese Bemerkung wirken zu
Weitere Kostenlose Bücher