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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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lassen.
    »Aber das Kreuz, das die Römer benutzt haben, war geformt wie ein ›T‹, Stephen, mit einem senkrechten Balken und einem waagerechten, der im rechten Winkel daran anstieß. Es gab keine Fortsetzung des senkrechten Teils über dem Querbalken. Begreifst du, was ich sagen will?«
    »Nein, Mylord.«
    Stephen runzelte die Stirn, und der Graf nickte.
    »Das christliche Kreuz hat doch vier Enden, nicht wahr? Nun, das römische Kreuz hatte nur drei. Wie schon gesagt, war es traditionell T-förmig, weil es so seinen Zweck erfüllte. Woher kommt also das vierarmige Christenkreuz, das Symbol, unter dem wir kämpfen? Soll ich es dir sagen?«
    Stephen nickte wortlos.
    »Es ist ein uraltes Symbol, das den römischen Legionären heilig war. Es war das Symbol des Mithras, des Herrn des Lichts. Der so genannte Soldatengott, der vor Urzeiten in einem Stall zur Welt gekommen ist und in einer Krippe gelegen hat – so glaubten es jedenfalls Hunderttausende seiner Anhänger.«
    »Das ist doch Gotteslästerung!«
    »Nein, Stephen, es ist angewandte Machtpolitik … die Manipulation der Menschen mittels einfacher, einprägsamer Bilder. Das Phänomen ist so alt wie die Menschheit, und ein Mann wird dann allmählich weise, wenn er begreift, dass es nichts unter der Sonne gibt, was nicht schon einmal da gewesen ist. Nicht das Geringste. Nirgendwo. Niemals. Alles ist schon einmal vorgekommen.«
    Stephen starrte seinen Lehnsherrn entsetzt an. Er konnte nicht glauben, was dieser mächtige Mann behauptete. Er dachte fieberhaft nach, wie er ihm widersprechen könnte, und schließlich fiel ihm etwas ein.
    »Die jungfräuliche Geburt Jesu hat es noch nicht gegeben!«
    Der Graf zuckte mit keiner Wimper, als er antwortete.
    »Die jungfräuliche Geburt des Horus, des Mann-Gottes, Sohn der ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris – und auch Mithras, von dem wir gerade schon gesprochen haben und der in einem Stall zur Welt kam, um die Menschheit zu retten.«
    William St. Clair beobachtete bereits seit einer Weile, wie das Gesicht seines Neffen ein Wechselbad der Gefühle durchlief, und nun unterbrach er den Grafen mit sanfter Stimme.
    »Stephen, du hast noch dein ganzes Leben vor dir, um herauszufinden, ob das, was Hugh dir gesagt hat, die Wahrheit ist. Doch ich sage dir jetzt schon, dass es so ist. Der ganze christliche Glaube hat nichts an sich, das es nicht lange vor Jesus anderswo schon gegeben hätte.«
    Es folgte eine lange Pause, denn weder der Graf noch William hatten an diesem Punkt etwas hinzuzufügen, und Stephen hatte nicht die geringste Ahnung, was er zu all dem sagen sollte. Nach einer Weile erhob er sich und ging zu dem Tisch hinüber, wo er sich einen Becher Wein einschenkte und ihn nippend trank. Er starrte die Wand an, während die beiden anderen Männer ihn beobachteten. Schließlich trank er einen großen Schluck und fuhr trotzig zu ihnen herum. Als er dann das Wort ergriff, klang seine Stimme herausfordernd.
    »Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, was das alles mit dem heiligen Paulus zu tun hat.«
    Etwa zehn Herzschläge lang sagte keiner der beiden Männer etwas. Dann hob Sir William den verletzten Arm und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter.
    »Du musst es umgekehrt ausdrücken, Stephen. Es war Paulus , der etwas mit all diesen Dingen zu tun hatte«, sagte er zähneknirschend. Dann ließ er den Arm sinken und atmete heftig aus.
    »Paulus hat die ganze Welt verändert, Stephen; es ist alles seine Schuld.«
    »Natürlich ist es seine Schuld. Er war schließlich der Erste, der die Botschaft verbreitet hat.«
    »Aye, das mag sein, doch während er sie verbreitet hat, hat er sie verändert; er hat sie zu etwas gemacht, das sie niemals werden sollte. Er hat die ursprüngliche Bewegung aus Jerusalem – die Jesus und seine Anhänger den Weg nannten – von allem Jüdischen und damit von ihrer ursprünglichen Bedeutung befreit und sie in etwas verwandelt, das so harmlos war, dass selbst die Römer es akzeptieren konnten. Er hat mit der ganzen sperrigen, unbequemen jüdischen Moral aufgeräumt und die Geschichte im Stil seiner griechischen Vorfahren verbrämt, die eine Vorliebe für fantastische, dramatische, völlig unvorstellbare Fabeln hatten. Damit hat er aus Jesus, einem einfachen Juden voller Patriotismus und großer Ideale, den Sohn Gottes gemacht, der unbefleckt empfangen und von einer Jungfrau geboren worden ist – und ihm ganz nebenbei auch seine Familie, seine Eltern und seine Brüder

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