Der Schatz des Blutes
verweisen?«
St. Clair räusperte sich, und plötzlich kam ihm eine Eingebung. Er erinnerte sich an die erste Begegnung eines seiner Vettern mit der jungen Dame, die seine Frau werden sollte.
»Es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen, Mylady«, wiederholte er ohne jedes Stocken die Worte seines Vetters. »Eure Gegenwart erhellt noch den sonnigsten Morgen.«
Die Prinzessin riss vor Überraschung weit die Augen auf, und er stellte erfreut fest, dass es gar nicht so schwer gewesen war.
»Bischof Odo sagte mir, dass Ihr mich zu sprechen wünscht, deshalb bin ich sofort gekommen.«
Sie kniff die Augen zu und öffnete sie wieder.
»Ja, das sehe ich, und ich bin Euch dankbar. Kommt bitte und begleitet mich.«
Sie machte kehrt und hielt aufrechten und raschen Schrittes auf das Gemach zu, das ihr als Empfangszimmer diente. Odo und St. Clair folgten ihr. Ein bewaffneter Wachtposten öffnete die Tür und nahm Haltung an, um sie durchzulassen. Bevor sie eintreten konnten, blieb Alice stehen und sah Odo an.
»Ich danke Euch, Mylord Fontainebleau; Ihr habt mir wie stets einen großen Dienst erwiesen, aber Ihr habt gewiss noch anderes zu tun, daher will ich Euch nicht aufhalten. Ihr könnt Euch wieder Euren Geschäften widmen; Bruder Stephen und ich haben vieles zu besprechen.«
Der Bischof nickte mit versteinerter Miene, doch seine verkrampften Kiefermuskeln verrieten, wie fest er die Zähne zusammenbiss. Sicherlich war er davon ausgegangen, dass er der Unterredung zwischen St. Clair und der Prinzessin beiwohnen würde. Nun kochte er vor Wut, was Stephen ein kleines Lächeln entlockte.
Als Odo mit wütend klappernden Absätzen davonstapfte, winkte Alice St. Clair mit dem Finger. Dann rauschte sie durch die Tür in die herrlichen Gemächer, die dahinter lagen. Er schluckte nervös und folgte ihr dicht auf dem Fuße, während ihm ihr Parfum in die Nase stieg. Er trat zu dem Stuhl, den sie ihm anwies, blieb aber stehen und wartete, dass sie selbst Platz nahm. Sie lächelte ihm zu und setzte sich. Daraufhin ließ er sich vorsichtig auf dem Stuhl nieder, wobei er dankbar feststellte, dass sie jetzt so weit voneinander entfernt saßen, dass er ihren Duft nicht mehr riechen konnte. Das jedoch erinnerte ihn unweigerlich an seinen eigenen Geruch. Denn eigentlich war Alice diejenige, die sich so weit von ihm fortgesetzt hatte, dass sie seinen ungewaschenen Geruch nicht mehr wahrnehmen konnte.
Sie saßen da, ohne etwas zu sagen, und sahen einander an. Dann räusperte sich die Prinzessin diskret.
»Ich habe die Wahrheit gesprochen, als ich gesagt habe, wie überrascht ich war, Euch hier zu sehen, Bruder Stephen. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr hierherkommen würdet.«
Was soll das bedeuten? , dachte er. Meint sie aus freien Stücken? Und wenn ja , geht sie davon aus , dass ich mich daran erinnere , schon einmal hier gewesen zu sein?
Alice fuhr im selben Tonfall fort: »Ich hatte den Eindruck, dass Ihr und Eure Brüder Euch lieber für Euch haltet und Eure Angelegenheiten untereinander klärt.«
Er wusste, dass er etwas sagen musste, daher versuchte er, sich den Anschein zu geben, als hätte er keine Ahnung, was sie meinte, als er antwortete: »Nun, Mylady, wir sind Mönche, und unsere heiligen Gelübde verpflichten uns, der Welt und allen weltlichen Dingen abzuschwören.«
»Ihr meint, den weltlichen Menschen , nicht wahr, mein Ritter? Eure Gelübde akzeptiere ich – für den Augenblick – weil jeder davon weiß. Doch die Armen Soldatenkameraden Jesu Christi sind anders als andere Mönche, nicht wahr? Mönche, die kämpfen und töten, sind ja wohl kaum wie normale Mönche; zumindest sehe ich hier einen tiefgehenden Unterschied.«
Seine Gelübde akzeptierte sie , aber nur für den Augenblick? Er hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. Doch er nickte und stellte überrascht fest, dass die Anspannung, die in seiner Brust gezuckt hatte, weitgehend verschwunden war.
»Das ist wahr, Mylady. Wir sind anders und haben uns einem anderen Ziel geweiht – einem Ziel, das so bis jetzt noch nirgendwo existiert hat.«
»Und es ist ein lobenswertes Ziel, oder?«
Er zuckte mit den Achseln. Irgendwo lauerte gewiss eine Falle auf ihn.
»Zumindest in den Augen des Patriarchen und Eures Vaters, des Königs, ja.«
»Aye, wahrhaft lobenswert. Zu kämpfen und zu töten, im Namen und unter dem Banner Gottes, in unleugbarem, plötzlich aber irgendwie vertretbarem Widerspruch zu seinem eindeutigen Gebot, ›Du sollst nicht
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