Der Schatz des Blutes
töten‹.«
St. Clairs Kopf fuhr auf.
»Eure Worte sind deutlich, Mylady, und scharf. Doch die Männer, gegen die wir kämpfen – die ungläubigen Moslems –, verachten unseren Gott und trachten danach, ihn aus diesem Land zu vertreiben.«
»Das ist nicht wahr, Bruder Stephen. Kein gläubiger Moslem verachtet unseren Gott, denn Er ist derselbe Gott, den auch sie anbeten. Sie nennen ihn Allah, während wir ihn Gott nennen – le bon Dieu , den guten Gott. Doch er ist dieselbe Gottheit. Er ist die einzige Gottheit.«
Sie hatte das Gesicht missbilligend verzogen. St. Clair hatte sie genau beobachtet. Angesichts der leidenschaftlichen Überzeugung in ihren Augen regte sich in ihm Bewunderung für ihre Glaubenskraft, und er musste an seine Gespräche mit Hassan, dem Schiiten, denken.
Aber sie war noch nicht fertig.
»All der Hass und all diese Morde, seit unsere überaus christlichen Armeen unter dem Kommando Gottfried von Bouillons und mit der Billigung des Papstes über dieses Land gekommen sind, all dies ist im Namen Gottes geschehen. Gedient hat es jedoch nur der Bereicherung der Männer, die sich berufen fühlen, Gottes heiligen Willen zu interpretieren. Und mein Vater nimmt einen hohen Rang unter ihnen ein.«
Diese Anschuldigung kam so unerwartet und war so heftig, dass es St. Clair die Sprache verschlug. Er hatte gerade eine Behauptung gehört, die ein Hinrichtungsgrund gewesen wäre, wenn irgendeine Amtsperson zugegen gewesen wäre. Allerdings war es eine Behauptung, der er nicht herzlicher hätte zustimmen können, und in seiner Begeisterung wäre er damit fast herausgeplatzt. Er hatte den Mund schon geöffnet, um zu sprechen – begriff jedoch, dass es nichts gab, was er zu sagen wagen konnte. Also hatte er ihn wieder geschlossen, während ihm eine Erkenntnis kam, die ihn beinahe überwältigte.
Monatelang hatte er gedacht, diese Frau sei ein verwöhntes, bösartiges, egozentrisches Kind, das nichts als Verderbtheit im Kopf hatte. Doch in den vergangenen Minuten hatte sie ihm eine völlig andere, unvermutete Facette ihrer Persönlichkeit gezeigt: eine brennende Leidenschaft, zu der sich vernichtende Verachtung gegenüber den Mächtigen in ihrer Welt gesellte. Er wusste, dass er ihr nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte, wenn sie es auf eine Konfrontation anlegte.
Er schüttelte den Kopf, wie um seine Gedanken zu entwirren. Dann unternahm er einen tapferen Versuch, das Gespräch abzuschließen und es in ungefährlichere Gefilde zu lenken.
»Eigentlich kann ich Euch nicht widersprechen, Mylady, doch die Sünde existiert nicht nur auf der einen Seite. Die Männer, gegen die wir kämpfen, sind keine gläubigen Moslems. Sie sind gottlose Mörder und Banditen, die die Gerechtigkeit verdient haben, die wir ihnen angedeihen lassen. Wenn sie christliche Franken wären und sich derselben Verbrechen schuldig machen würden, würden wir nicht anders mit ihnen verfahren.«
Er holte tief Luft.
»Aber ich vermute, dass dies nicht der Grund ist, warum Ihr mich habt kommen lassen, obwohl ich mich natürlich irren kann. War es das, worüber Ihr mit mir sprechen wolltet? Falls ja –«
Alice lächelte erneut.
»Nein, Bruder Stephen, das war es nicht; Ihr könnt Euch also wieder beruhigen und meine verräterischen Worte vergessen. Ich bin eine pflichtbewusste Tochter, und ich liebe meinen Vater über alles – als Vater. Ich stoße mich nur immer wieder an seiner Regentschaft – an seiner Männlichkeit, seinem Männerstolz, nennt es, wie Ihr wollt. Jedenfalls verhindert es, dass er die Welt mit anderen Augen sieht. Ihr dagegen seid ein Mönch, der sich aufopferungsvoll von solch weltlichen Dingen losgesagt und sich Gottes wahrem Willen geweiht hat, daher muss ich Euch von meiner allgemeinen Verachtung gegenüber Männern ausschließen.«
St. Clair blinzelte.
»Ihr verachtet alle Männer, Mylady?«
»Die meisten, Bruder Stephen, vor allem jene in meiner näheren Umgebung. Je mächtiger ein Mann wird, desto weniger angenehm ist seine Gesellschaft. Und Männer, die sich dem Machtgewinn verschrieben haben, so wie unser bewundernswerter Bischof von Fontainebleau, sind völlig unerträglich. Ich verabscheue Männer, die krampfhaft nach Macht streben, denn sie zertreten andere Menschen unter ihrer Gier.«
Sie sah seine Miene und fuhr fort.
»Glaubt mir, ich weiß, dass weniger bedeutende, gewöhnliche Männer genauso verdorben sein können wie die angeblich edleren, versteht mich also nicht falsch. Doch das
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