Der Schatz des Blutes
mit Euch sprechen möchte. Im Gegenteil, sie setzt das größte Vertrauen in Euer Wohlwollen und in Eure Ehre und Integrität.«
St. Clair staunte über die Art und Weise, wie der Bischof in einem Moment etwas Unglaubliches behaupten konnte und nur Minuten später das völlige Gegenteil von sich gab. Da er einen Ritter vor sich hatte und keinen Gelehrten, schien der Mann davon auszugehen, dass sein Gegenüber keine Intelligenz besaß und ebenso wenig zwischen Verlogenheit und Schmeichelei unterscheiden konnte.
»Die Prinzessin ist zutiefst verstört, weil ihr vor kurzem gewisse Dinge zu Ohren gekommen sind. Ich selbst habe keine Ahnung, worum es dabei gehen könnte; allerdings haben mich meine Beobachtungen zu der Vermutung geführt, dass es um gewisse merkwürdige Vorgänge in den Stallungen auf dem Tempelberg geht, genauer gesagt, den Fundamenten. Ganz gleich, was es ist, die Prinzessin steht nun vor einem Dilemma. Natürlich ist es ihr Wunsch und ihre Tochterpflicht, ihrem Vater, dem König, davon zu berichten. Doch sie hegt eine solche Hochachtung gegenüber Bruder Hugh, dass sie zögert, dies zu tun, ohne zuvor selbst Erkundigungen eingezogen zu haben. Denn natürlich ist ihr bewusst, in welche Schwierigkeiten Ihr – womöglich unnötigerweise – durch einen solchen Bericht geraten könntet. Daher hat sie mich damit beauftragt, Euch zu befragen, anstatt Euch persönlich zu sich rufen zu lassen. Da ich nichts von den Hintergründen weiß, bin ich meine Aufgabe ungeschickt angegangen. Ich begreife, dass es besser gewesen wäre, Euch von Anfang an offen gegenüberzutreten.«
»Aye.« St. Clairs Ton war so trocken, wie der des Bischofs schwülstig war. Mehr sagte er nicht, und Odo zögerte.
»Aye, in der Tat. Wärt Ihr bereit, mich zu begleiten und die Dame zu beruhigen?«
St. Clair hielt sich wie zufällig die Hand vor den Mund und dachte angestrengt nach. Dass Odo die Fundamente erwähnt hatte, hatte ihn verunsichert. Alles andere hätte er gleichmütig hinnehmen können, denn es war nichts Neues, dass sich alle Welt für die merkwürdigen Mönche auf dem Tempelberg und ihr bizarres Dasein interessierte. Doch die konkrete Erwähnung der Fundamente der Stallungen besorgte ihn.
Ansonsten wäre ihm eine persönliche Begegnung mit Alice sogar willkommen. Er hatte in der Wüste viel über sie nachgedacht und darüber, was sie für den Rest seines Lebens bedeutete. Die Träume, die ihn heimgesucht hatten, gehörten nun der Vergangenheit an; seit er die Wahrheit begriffen hatte und aus Jerusalem geflüchtet war, hatte es keine Zwischenfälle mehr gegeben. Daher hatte er das Gefühl, dass er in der Lage sein könnte, sich seinen Ängsten zu stellen, indem er sich Alice stellte. Zwar war sein Selbstbewusstsein noch nicht besonders gefestigt, doch er war bereit, sich auf eine letzte Begegnung mit der Prinzessin einzulassen.
Odos unerwartete Erwähnung der Tempelfundamente hatte jedoch all diese Gedanken verdrängt und seinen Kopf mit der Angst vor Einmischung und Verrat gefüllt. Sämtliche Alarmglocken in seinem geistigen Wachtturm klingelten schrill. Die Tatsache, dass Alice und dieser Odo von den Vorgängen unter den Stallungen wussten, bedeutete, dass einer seiner eigenen Leute den Orden der Wiedergeburt verraten hatte und dass die ganze Welt jeden Moment erfahren konnte, was sie dort taten.
An Verrat konnte St. Clair allerdings selbst in seiner Panik nicht glauben. Einer der Brüder war vielleicht unvorsichtig gewesen. Das war die einzige vernünftige Erklärung, die er sich vorstellen konnte. Immerhin war ja nicht zu leugnen, dass man ihre Arbeit allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz bemerkt hatte und sogar sagen konnte, wo sie zugange waren: am Fundament .
Doch das Wie und Warum verblasste angesichts der katastrophalen Möglichkeit, dass die geheimen Bemühungen der Jerusalemer Brüder zu einem abrupten Ende kommen könnten. Für den Orden selbst wäre das ein schwerer Schicksalsschlag.
Es sei denn – und an diesem Punkt musste er innehalten und sich körperlich zusammenreißen –, es sei denn, er war irgendwie in der Lage, die Prinzessin, und damit ebenfalls Bischof Odo, davon zu überzeugen, dass ihre Vermutungen unbegründet waren. Bei dieser Vorstellung hätte er am liebsten laut aufgestöhnt. Er hatte absolut nicht vergessen, wie ungeschickt und peinlich er sich bis jetzt jedes Mal in der Nähe der Prinzessin verhalten hatte. Doch er konnte jetzt auf niemand anderen hoffen; es war zu spät, auf de
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