Der Schatz des Blutes
Geheimnisse zu kennen, erst erworben. Und du wirst dir diese Rechte ebenfalls erwerben, eines nach dem anderen. So ist es unser Brauch, so durchschreiten wir die Stufen des Wissens unseres Ordens: Wir studieren, und wir lernen die Rituale – Wort für Wort – von unseren Brüdern, die teilweise ihr ganzes Leben damit zugebracht haben, dieses Wissen, diese Erfahrung und diese Weisheit zu sammeln. Wir werden alle immer wieder geprüft, und wenn wir bereit sind – ein jeder in seinem eigenen Tempo und nach seinen eigenen Wünschen –, schreiten wir auf die nächste Wissensebene fort. Von jetzt an wird das, was du lernst, nicht mehr mit dem Zollstock gemessen; es wird nur noch überprüft, was du weißt und begreifst.«
Ein winziges Zucken in St. Clairs Mundwinkel deutete auf den Beginn eines Lächelns hin.
»Ich kann dir allerdings versprechen, dass du deine Freude daran haben wirst, dir diese Rechte zu erwerben. Die Antworten, die du findest, werden dich begeistern. Und das Wissen, das du erwirbst, wird dich erstaunen. Außerdem glaube ich, dass du schnell lernen wirst, wenn du erst einmal anfängst. Und nun sollten wir uns den anderen oben wieder anschließen.«
»Bitte warte noch. Wie geht es weiter, hier in Payens?«
»Wie es weitergeht?«
St. Clair blickte zu seinem Freund Baron Hugo hinüber, bevor er antwortete.
»Nun, was dich betrifft, so weiß ich das nicht. Doch solange wir hier sind, werden dein Vater und ich uns um andere Dinge kümmern … Heiraten zum Beispiel. Ich habe zwei unverheiratete Töchter und vier Söhne, von denen zumindest einer bald in ein befreundetes Haus einheiraten sollte. Dein Vater hat ebenfalls zwei Töchter und zwei Söhne im heiratsfähigen Alter, und einer davon bist du.«
Er hielt inne, dann fuhr er fort.
»Doch ich kann deinem Gesicht ansehen, dass du mit deinen Gedanken bei anderen Dingen bist. Sprich, Junge, woran denkst du?«
»An den neuen Papst.«
»Den neuen Papst? Was für ein langweiliges Thema. Was ist mit ihm? Und warum sollte ein junger Ritter aus der Champagne über einen neuen Papst nachdenken?«
Hugh zuckte mit den breiten Schultern, doch in seinem Gesicht erschien nicht die Spur eines Lächelns.
»Weil er neu ist , und weil jedermann – zumindest jeder Ritter – über ihn nachdenken sollte. Ich habe gehört, dass er gelobt hat, dem ein Ende zu setzen, was er ›das Problem der kampflustigen und streitsüchtigen Ritter‹ nennt.«
St. Clair runzelte die Stirn und blickte von Hugh zu Baron Hugo hinüber.
»Was? Der Papst hat das gesagt? Davon ist mir nichts zu Ohren gekommen. Von was für einem Problem redet er da?«
Baron Hugo antwortete ihm.
»Von demselben Problem, das uns schon zu schaffen gemacht hat, als wir noch jung waren, Stephen. Nur dass es heute schlimmer ist als je zuvor. Das Problem, dass sich jugendliche Energie entladen muss. Ihr werdet in England nicht so viel damit zu tun haben wie wir hier, weil ihr dort drüben seit zwei Jahrzehnten mit Rebellionen und Aufständen kämpft und ständig militärisch eingreifen müsst, um die verdammten Sachsen im Griff zu behalten. Doch ansonsten ist es in der ganzen Christenwelt ein Problem. Und obwohl es niemand zugeben will, ist natürlich damals wie heute hauptsächlich die Kirche mit ihren verfluchten fanatischen Priestern daran schuld.«
Allmählich kroch dem Baron die Röte ins Gesicht.
»Solange ihr in England ständig von feindseligen Sachsen umgeben seid, habt ihr mehr als genug zu tun, um eure Ritter zu beschäftigen und von mutwilligem Unfug abzuhalten. Hier jedoch ist es den Rittern durch das Gesetz – also durch die Kirche, die die Gesetze beschließt – verboten, in Friedenszeiten zu kämpfen, sich zu prügeln oder den öffentlichen Frieden sonst irgendwie zu stören. Und wenn sie es doch tun – und sie tun es ständig, denn sie sind jung und voller Leben, und sie sind überall –, runzeln die verdammten Priester die Stirn und bestrafen sie, entweder mit heftigen Geldbußen oder manchmal sogar mit Gefängnis und der Androhung der Exkommunikation …«
Der Baron hielt inne und holte tief Luft, um sich zur Ruhe zu zwingen, dann fuhr er kopfschüttelnd und stirnrunzelnd fort.
»Wie dem auch sei, es ist ungesund. Es geht schon viel zu lange so, und es wird immer schlimmer. Die letzten beiden Jahrzehnte unter Papst Gregor waren empörend. Wir stehen kurz vor der völligen Anarchie. Die ganze Situation ist untragbar geworden. Überall stellen die Priester die Gültigkeit des
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