Der Schatz des Blutes
Zynismus, Käuflichkeit und ungehemmte Fleischeslust, selbst unter Geistlichen. Ich konnte das nicht gutheißen, doch ich konnte es auch nicht allzu laut anprangern. Denn das hätte mein schnelles Ende bedeutet. Also habe ich mich für mich gehalten, keine Freundschaften geschlossen, keiner Frau beigewohnt. Ich habe mich bei jeder Gelegenheit freiwillig zum Kampf gemeldet, bis ich schwer verletzt wurde und man mich zum Sterben heimschickte. Kurz darauf bin ich hierhergekommen und habe Euch zum ersten Mal gesehen.«
Er sah den erstaunten Blick der Prinzessin, der ihn jedoch nicht überraschte, war er doch über sich selbst überrascht. Er hatte nicht vorgehabt, irgendetwas von den Dingen zu sagen, die jetzt aus seinem Mund gesprudelt waren. Doch dann hatte er dieselbe Freimütigkeit an den Tag gelegt wie die Prinzessin.
Alice senkte den Blick auf ihre Hände.
»Aye, Sir Stephen, ich erinnere mich an diese erste Begegnung. Und nun sehen wir uns vielleicht zum letzten Mal.«
»Wie kann das sein, Mylady?«
Er war alarmiert, denn sein Kopf verband ihre Worte sofort mit dem Grund für seine Anwesenheit hier – mit den Dingen, die sie herausgefunden hatte.
»Ich werde Jerusalem bald verlassen«, sagte sie. »Ich werde Prinz Bohemond von Antiochia heiraten, der aus Italien nach Outremer unterwegs ist, um die Thronfolge anzutreten.«
Der erste Gedanke, der ihm kam, war, dass damit keine Gefahr mehr bestand, dass sie ihn verführen würde. Doch dann begriff er, was ihre Worte eigentlich bedeuteten. Er räusperte sich.
»Da freue ich mich für Euch, Mylady. Wann erwartet Ihr den Prinzen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das kann mir niemand sagen. Es hängt von zu vielen Dingen ab, vor allem aber von Wind und Wetter. Er könnte in einer Woche hier sein, in einem Monat oder in einem halben Jahr. Ich weiß nur eines mit Gewissheit: sobald er hier eintrifft, werden wir vermählt. Daher auch die Stoffe, als Ihr vorhin eingetreten seid. Meine Frauen arbeiten Tag und Nacht an meiner neuen Garderobe. Was ist es, das Ihr in den Stallungen tut?«
Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, so sehr verblüffte ihn dieser abrupte Themawechsel.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr und Eure Brüder in den Stallungen etwas Verdächtiges betreibt, und obwohl es unterschiedliche Berichte gibt, weiß ich doch, was dort vorgeht.«
Ihr Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, und St. Clair konnte sein Herz in seiner Brust hämmern hören. Sie beobachtete ihn genau. Er bemühte sich um eine ausdruckslose Miene und legte den Kopf ein wenig schief.
»Ich bitte um Verzeihung, Mylady, aber ich … Was glaubt Ihr denn, was dort vorgeht , wie Ihr es ausdrückt?«
»Grabungen. Ihr und Eure Brüder grabt in den Berg, in die Fundamente, auf der Suche nach einem Schatz, der vor Ewigkeiten dort vergraben wurde.«
»Wa –? Wie kommt Ihr denn auf eine solche Idee, Mylady?« Fas t wäre ihm der Atem vergangen.
»Ich sage doch, dass man mir davon berichtet hat.«
»Aye, und ich möchte Euch ja nicht widersprechen, aber Ihr habt auch gesagt, dass sich diese Berichte widersprechen und dass Ihr daher Euren eigenen Schluss daraus gezogen habt, nicht wahr?«
»Das stimmt. Was wollt Ihr damit sagen?«
Er breitete die Hände aus.
»Dass ich Eure Schlussfolgerungen gern hören würde. Darf ich Euch darum bitten?«
»Ich habe von einem Schatz gesprochen, Bruder Stephen. Ich glaube, dass Ihr und Eure Bruderschaft über geheime, uralte Informationen verfügt, mit deren Hilfe Ihr auf eine große Entdeckung aus seid.«
St. Clair erstarrte. Sein Mund wurde trocken, und die Zunge klebte ihm am Gaumen, während ihm ihre Worte durch den Kopf donnerten. Sein fester Glaube an die Integrität seiner Brüder zerfiel zu Staub, und er hörte die Prinzessin kaum, als sie jetzt weitersprach.
»Daraus kann ich nur schließen, dass Ihr alle abtrünnig geworden seid und den heiligen Gelübden abgeschworen habt, die Ihr erst vor so kurzer Zeit abgelegt habt. Ihr seid auf der Suche nach Reichtümern, die eigentlich anderen gehören.«
Sie hielt inne und betrachtete ihn mit gespitzten Lippen.
»Dies ist das Königreich Jerusalem, Bruder Stephen. Alles hier, sowohl auf als auch unter der Erde, gehört meinem Vater, dem König. Der Schatz, den Ihr sucht, gehört ihm. Ganz gleich, wo oder wann Ihr ihn findet, und ganz gleich, ob er von seiner Existenz gewusst hat. Aber das ist Euch wahrscheinlich gleichgültig, oder? Wenn Ihr diesen Schatz findet, habt Ihr vor, Euch
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