Der Schatz des Blutes
unterwegs und wanderte ziellos durch die Straßen der Stadt, weil er eine Entscheidung zu treffen hatte, über die er die ganze Nacht nachgedacht hatte.
Am vorhergehenden Nachmittag hatte Hugh de Payens die Brüder zusammengerufen und angekündigt, dass er noch im Lauf dieses Monats nach Frankreich zurückkehren würde und zwei von ihnen mitnehmen würde.
Einer dieser beiden war aus naheliegenden Gründen André de Montbard, doch über den zweiten Begleiter sollte im Geist der Brüderlichkeit und der Gleichheit das Los entscheiden.
Daheim in Frankreich würden die drei Ritter dem Ordensrat von ihren Entdeckungen berichten und dann an den Mann herantreten, der trotz seiner Jugend in kürzester Zeit der einflussreichste und mächtigste der französischen Kirchenmänner geworden war. Dieser junge Geistliche, der als Bernard de Fontaines-les-Dijons zur Welt gekommen war, trug inzwischen den Namen Bernard von Clairvaux, genannt nach der Zisterzienserabtei, die er erbaut hatte und der er nun als Abt vorstand. Bernard von Clairvaux war André de Montbards Neffe, und es war de Montbard gewesen, der dem jungen Mann und damit dem neu gegründeten Zisterzienserorden das Land zur Verfügung gestellt hatte, auf dem jetzt die Abtei von Clairvaux stand. De Montbard war zuversichtlich, dass seine Neffe bereit sein würde, als Unterhändler eine Audienz beim Papst für sie zu arrangieren, in deren Verlauf die Brüder die Beweise für ihre Funde in den Eingeweiden des Tempels präsentieren wollten.
INZWISCHEN WAR der Schatz genau erforscht und katalogisiert, und die Echtheit der Bundeslade stand über jeden Zweifel erhaben fest, auch wenn ihr Inhalt unangetastet geblieben war. De Payens war nach wie vor der Meinung, dass kein gewöhnlicher Sterblicher würdig oder berechtigt war, eine so kostbare und heilige Reliquie anzurühren. Und so hatte er sie intakt in eine Holzkiste einlagern lassen, bis der Zeitpunkt kam, an dem sie von jemandem geöffnet werden konnte, der eher dazu berufen war als er selbst.
Nach eingängigen Beratungen mit St. Omer und de Montbard hatte Hugh de Payens beschlossen, dass die Krüge in der Krypta unterhalb des Altars wahrscheinlich wichtiger waren als die in der Halle, und da sie nicht wussten, in welcher Reihenfolge die Krüge auf die Regale gestellt worden waren, hatten sie acht Krüge ausgewählt, zwei von jedem Ende der Regalreihen, zwei aus den oberen und zwei aus den unteren Reihen.
Es hatte St. Clair nicht überrascht, dass de Montbard an diesem Punkt das Kommando übernommen hatte und dass er den Abtransport der acht ausgewählten Krüge beaufsichtigt hatte. Unter seiner Obhut waren die Krüge verpackt und von jeweils zwei Brüdern in den Archivraum hinaufgebracht worden, in dessen Ecken man Holztische dafür aufgestellt hatte. In der Mitte des Raumes stand eine fünfte Gruppe von Tischen, die mit den Dokumenten bedeckt waren, die de Montbard bei seiner Ankunft aus Frankreich mitgebracht hatte.
Oben angekommen, wurden jeweils zwei Krüge auf separate Tische gestellt und präzise gekennzeichnet, bevor de Montbard mit größter Vorsicht die Siegel aufbrach und die Dokumente hervorholte.
St. Clair war dabei gewesen – genau wie die anderen. Alle konnten es nicht abwarten, endlich zu sehen, wonach sie so mühselig und lange gesucht hatten. Als feststand, dass die Krüge tatsächlich Pergamentrollen enthielten, wie Montbard es vorausgesagt hatte, hatten sie ehrfürchtig schweigend zugesehen, wie de Montbard nach einer Schüssel mit Wasser rief und sich die Hände restlos sauber wusch, um sie dann gründlich mit einem frischen Handtuch abzutrocknen. Dann hatte er sich langsam niedergesetzt, um die erste Rolle vorsichtig auszubreiten und sie mit gespreizten Fingern festzuhalten.
Sie war mit winzigen Lettern und Symbolen beschrieben, die zwar deutlich zu erkennen waren, die aber keiner von ihnen verstehen oder entziffern konnte – außer vielleicht de Montbard selbst.
De Montbard saß völlig reglos da und überflog das Dokument mit den Augen, bis einige der Männer unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten begannen. Selbst St. Omer und de Payens waren sichtlich nervös gewesen und hatten mit gebanntem Blick an ihrem Kameraden gehangen und den Atem angehalten. Schließlich hatte de Montbard genickt und sich zufrieden zurückgelehnt. Behutsam fing er die Pergamentrolle auf, die wieder in ihre zylindrische Form zurückschnellte. Dann hob er den Blick und sah die beiden an.
»Ja«, sagte
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