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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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fragte: »Wovon redest du, Hugh? Ich verstehe nicht, was du sagen willst.«
    Erneut zog sich die Stille endlos hin, bis de Payens schließlich antwortete, und seine leise Stimme stand in keinem Verhältnis zum Gewicht seiner Worte.
    »Was an diesem Tag in Jerusalem geschehen ist, war Gottes Wille, Goff. Gottes Wille. Ich habe einen Bischof aufgesucht, um zum ersten Mal seit meiner Ordensweihe meine Sünden zu beichten. Als ich ihm ins Gesicht geblickt habe, waren sein Bart und seine Haare mit Blut verklebt, und der Irrsinn des Blutrausches leuchtete aus seinen Augen. Seine Robe war befleckt, weil er sein Schwert daran von dem Blut reingewischt hatte, das er an diesem Tag vergossen hatte. Es hing an einem Gürtel quer vor seiner Brust, ein langes, rostiges, verklebtes altes Schwert. Und ich habe gedacht: Dieser Mann ist ein Bischof , ein gesalbter Hirte Gottes , und er ist von Menschenblut befleckt und entweiht … ein Priester , dem das Töten verboten ist ! In diesem Moment ist mir klar geworden, dass ich der Einzige war, der etwas Falsches an den Dingen fand, die sich an diesem Tag in Jerusalem zutrugen, an dem, was wir taten und getan hatten. Aber wie konnten wir im Irrtum sein? Wir haben doch Gottes Willen ausgeführt. Deus Le Veult ! Gott will es so … Weißt du, wie viele Menschen wir an diesem Tag umgebracht haben?«
    St. Omer saß schweigend da und starrte seine Füße an, dann nickte er.
    »Aye, Hugh, das weiß ich. Die Zahl ist bekannt gegeben worden. Alle waren sehr stolz darauf. Der größte Sieg in der Geschichte der Christenheit … die Erlösung Jerusalems aus den Händen der Ungläubigen …«
    »Wie viele, Goff?«
    St. Omer sog die Luft tief durch die Nase ein und atmete geräuschvoll wieder aus.
    »Neunzigtausend.«
    »Neunzig … tausend. Neunzigtausend Seelen …«
    Hugh wandte sich um und sah seinen Freund direkt an.
    »Überleg doch einmal, Goff, erinnere dich; weißt du noch, wie stolz wir am Tag unseres Aufbruchs in Konstantinopel waren, unserer glanzvollen Armee anzugehören? Das waren vier Armeen zu einer einzigen verschmolzen, die weniger als fünfundvierzigtausend Mann stark war … halb so viele, wie an diesem Tag in Jerusalem getötet worden sind. Weißt du noch, wie gigantisch sie uns damals vorkam, diese Ansammlung von über vierzigtausend Menschen mit ihren viereinhalbtausend Rittern zu Pferd und den Zigtausenden von Fußsoldaten? Erinnerst du dich noch an die Größe , die überwältigende Masse! Und hier waren es neunzigtausend; eine Menschenmenge, die doppelt so groß war wie diese große Armee … sich aber aus Männern, Frauen und Kindern zusammensetzte, die allesamt durch Hunger und Krankheiten geschwächt waren … in einer einzigen Stadt eingepfercht, uns hilflos ausgeliefert. Und wir haben sie abgeschlachtet, weil Gott es so wollte …«
    Die Stimme versagte ihm, und er erhob sich, verschränkte die Arme und ließ das Kinn auf die Brust sinken. Als er dann weitersprach, hielt er sich die Hand vor die Augen, um sie zu schließen.
    »Ich habe gewusst, dass es eine riesige Zahl sein musste, weil ich manchmal bis zu den Knöcheln durch Blut und Eingeweide gewatet bin … an Stellen, an denen die Kanalisation schlecht war und die Mauern hoch … ganze Häuser voller reicher Leute und Dienstboten, unter ihren eigenen Dächern abgeschlachtet. Die Schreie, die ich an diesem Tag gehört habe – die ich jetzt noch hören kann –, werden es mir nie wieder gestatten, Stille zu hören.«
    St. Omer hob die Hände und ließ sie dann hilflos in den Schoß fallen.
    »Hugh –«, sagte er, doch de Payens schnitt ihm das Wort ab.
    »Bitte sag mir, dass du nicht vorhattest, mir zu sagen, dass es nicht so schlimm war, wie ich es in Erinnerung habe, Goff, denn es war so schlimm und viel schlimmer. Ich habe gesehen, wie sich Männer, die ich schon mein Leben lang kenne, in Bestien verwandelt und mutwillig Frauen und Kinder gemetzelt haben. Viele von ihnen haben Tücher mit Plündergut hinter sich hergeschleift, das sie nie hätten tragen können. Ich habe eigenhändig einen Mann getötet, einen Ritter aus Chartres, den ich dabei angetroffen habe, wie er ein Mädchen vergewaltigt hat, das nicht älter als sieben sein konnte. Er hat mich wie von Sinnen angestarrt und geschrien, er vollbrächte Gottes Werk, indem er ihr den Teufel austrieb. Ich habe ihm mit einem Hieb den Kopf abgeschlagen und ihn über ihr liegen gelassen, denn sie war schon tot. Er hatte sie umgebracht, bevor er über sie

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