Der Schatz des Blutes
nicht länger nach Verderbnis, denn die Wüstensonne hatte diesen Gestank längst weggebrannt, doch abgesehen von der Besatzungsmacht war die Stadt immer noch kaum bevölkert und hatte nur wenige zivile Einwohner, von denen die meisten Christen waren. Der König selbst hatte die gigantische Al-Aksa-Moschee an sich gebracht, die über dem Felsendom errichtet worden war, und sie in seinen königlichen Palast umgewandelt. Dass er damit jeden gläubigen Moslem beleidigte und gegen sich aufbrachte, war Baldwin zwar persönlich gleichgültig, doch seinen Versuchen, wieder Menschen in die Stadt zu holen, war es nicht sehr zuträglich gewesen.
Daher hieß König Baldwin die Ankömmlinge aus den drei Herzogtümern mit großem Pomp und Prunk willkommen, und er machte kein Geheimnis daraus, wie nötig er sie hatte. Sein Königreich war klein – genau wie das ganze Areal der »befreiten« Länder von Outremer, einer schmalen Kette von Fürstentümern, die von Norden nach Süden verlief und im Westen vom Mittelmeer flankiert wurde, während ihre gesamte Ostgrenze von Heerscharen von Moslems bedroht wurde, die den fränkischen Eroberern den optimistischsten Schätzungen nach um das Zwanzigfache überlegen waren. Dadurch waren Baldwin und seine militärischen Befehlshaber zu ständiger Wachsamkeit gezwungen. Sie waren nur deshalb noch nicht überrannt worden, weil unter ihren Gegnern keine Einigkeit herrschte.
Die seldschukischen Türken, die ursprünglichen Herrscher eines Reiches, das nur hundert Jahre bestanden hatte, hatten sich nicht von den schmählichen Niederlagen erholt, die die Franken ihnen 1098 und 1099 beigebracht hatten. Ihre Vorherrschaft unter den Wüstenvölkern war dahin, ohne dass bis jetzt jemand ihre Stelle eingenommen hätte. Das allein war der Grund, warum das verschwindend kleine Frankenheer bis jetzt noch nie gegen eine größere Allianz moslemischer Verbände antreten musste und es ihm bis jetzt gelungen war, eine Invasion zu verhindern.
Die vierhundert bestens ausgebildeten und ausgerüsteten Neuankömmlinge aus Europa stellten eine beträchtliche Verstärkung für Baldwins Streitmacht dar, und nachdem man sie herzlich begrüßt hatte, wartete sofort die Realität des Soldatendaseins in Outremer auf sie.
Hugh stand zudem vor einer Aufgabe, die ihn zwang, doch wieder in Kontakt mit anderen zu treten.
Daheim hatte er ungestört inmitten der Bruderschaft gelebt und sich mit Leib und Seele in seine Studien vertieft. Er brauchte nur wenig von dem, was andere Männer für normal hielten.
An Frauen hatte er kaum Interesse, nicht, weil er sie nicht mochte, sondern einfach nur, weil er kein Bedürfnis verspürte, ihre Gesellschaft zu suchen. Zwar hatte er einige Male mit Frauen geschlafen, doch er war nie versucht gewesen, jemals mit einer von ihnen eine engere Beziehung einzugehen. Eher zufällig als bewusst war er der Keuschheit anheimgefallen, und sein Leben hatte immer größere Ähnlichkeit mit dem eines Mönchs bekommen.
In Outremer hatte er sich erneut absichtlich von allen Menschen ferngehalten, die nicht dem Orden der Wiedergeburt angehörten, und er hatte sich ganz darauf konzentriert, andere Brüder ausfindig zu machen. Doch er hatte bald festgestellt, dass die Aufgabe, die ihm der Orden zugewiesen hatte, keine leichte war, da er sich bestenfalls auf vage Informationen stützen konnte.
Hugh besaß kein großes Vertrauen in die Listen der Überlebenden, die nach der Eroberung der Stadt erstellt worden waren. Denn vor diesem Sieg hatten die christlichen Armeen unterwegs schreckliche Verluste erlitten, und die Mächtigen hatten natürlich versucht, ihren Heereszug in das bestmögliche Licht zu rücken. Das hatte wiederum dazu geführt, dass viele Tote in der Heimat als Freiwillige galten, die in Outremer geblieben waren.
Diesen Listen und den Berichten des Ordens zufolge hatten sich zu Beginn des Jahrhunderts zweiunddreißig Ordensritter in Outremer aufgehalten. Diese zu finden, war eine große Herausforderung gewesen. Sie zusammenzubringen, erwies sich als unmöglich.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz war es Hugh gelungen, im Lauf des ersten Jahres mit einer ganzen Reihe seiner Brüder Kontakt aufzunehmen. Doch er hatte auch mit viel Geduld keine Zusammenkunft organisieren können, wie sie daheim Tradition waren. Und die Tatsache, dass jede Reise in Outremer mit großen Entfernungen und Gefahren durch Wegelagerer verbunden war, hatte mit der Zeit dazu geführt, dass Hughs Begeisterung für seine
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