Der Schatz des Blutes
allein.
»Das war aber eine sehr plötzliche Entscheidung, alle hierherzurufen, nicht wahr?«
De Payens zuckte mit den Achseln.
»Möglich, aber sie war schon lange fällig. Wir beide haben uns doch öfter darüber unterhalten, wie wichtig ein solches Treffen wäre. Jetzt scheint genau der richtige Zeitpunkt zu sein, falls wir alle erreichen. Selbst wenn wir diese Ausgrabung nicht unternehmen können, die der Rat von uns verlangt, wird es gut für die Brüder sein, nach so langer Zeit zusammenzukommen und das Ritual wieder aufleben zu lassen.«
»Aye, falls sich noch jemand daran erinnern kann.«
»Ich kann es, Godfrey, und du sicher ebenso, weil wir es bis dahin üben können. Es wird nicht allzu schwierig werden, weder für uns noch für sonst jemanden. Die Texte sind uns damals so eingeprägt worden, dass die Erinnerung schnell zurückkehren wird. Daran glaube ich fest.«
»Wahrscheinlich hast du Recht. Es könnten aber noch andere hier sein, weißt du … jüngere Mitglieder der Bruderschaft, die sich einfach noch nicht zu erkennen gegeben haben.«
»Ja, ich weiß, und damit muss ich leben. Doch bei dieser ersten Zusammenkunft beschränke ich mich lieber auf Männer, die ich kenne und von denen ich weiß, dass ich ihnen vertrauen kann.«
Er hielt inne und zog die Augenbraue hoch, dann fügte er hinzu: »Ich kann dir an den Augen ablesen, dass du mich jetzt fragen willst, ob ich einem Mitglied der Bruderschaft misstrauen würde. Und die Antwort ist ja, das würde ich. Sie sind alle Menschen, Godfrey, und sie haben menschliche Schwächen. Ich habe hier in der Wüste genug von den Menschen und ihren Schwächen gesehen, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass ich niemandem vertraue, solange ich nicht die Zeit hatte, ihn genau kennenzulernen. Das mag dir nicht gefallen, aber so ist es nun einmal.«
St. Omer stand auf und räkelte sich, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte und genüsslich stöhnte.
»Davon kann keine Rede sein«, sagte er dann. »Ich empfinde das genauso wie du, wenn auch aus anderen Gründen. Wenn man vier Jahre an ein Ruder gekettet war, findet man heraus, wie wenige Menschen auf der Welt es wert sind zu leben, geschweige denn, dass man ihnen vertraut. Also werden wir nur wenige sein.«
»Aye, zumindest beim ersten Mal. Aber Arlo wird uns nicht enttäuschen.«
»Wo wirst du sie unterbringen? Wir können ja nicht lautlos üben, also müssen wir darauf achten, wo wir es tun. Das wird wahrscheinlich alles andere als einfach werden. Es mag ja sein, dass hier alle möglichen Intrigen und politischen Geheimnisse gesponnen werden, aber die Beteiligten sind Priester und Adelsherren, und es geschieht im Palast. Es wird etwas ganz anderes sein, dafür zu sorgen, dass eine Zusammenkunft von Rittern unbemerkt bleibt, von den geheimen Ritualen ganz zu schweigen.«
»Ibrahim Farraq. Du kennst ihn noch nicht, aber ich habe vor langer Zeit seinem Lieblingssohn das Leben gerettet, und wir haben uns angefreundet. Er weiß, was es bedeutet zu schweigen. Er betreibt mit seinen Söhnen die bei weitem beste Herberge in ganz Outremer. Ich werde dafür sorgen, dass wir uns dort treffen können. Ibrahim wird dafür sorgen, dass wir während unseres Aufenthalts unbeobachtet und ungestört bleiben. Vertrau mir, mein Freund, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
ARLO ENTTÄUSCHTE sie tatsächlich nicht.
Er fand die fünf anderen in den zwei Wochen, die er sich ausgebeten hatte, und nachdem er sich mit de Payens über das beste Datum beraten hatte, hüllte er sich am zweiten Oktober noch einmal in die langen, wallenden Kleider der Wüstenbewohner, um erneut aufzubrechen und sie alle persönlich für das Fest Allerheiligen am letzten Tag des Monats nach Jerusalem einzuladen. Hugh hatte keine Vorstellung, wie lange ihre Zusammenkunft dauern würde. Daher bat Arlo sie, davon auszugehen, mindestens sieben, vielleicht aber sogar zehn Tage in der Stadt zu verbringen.
Der vereinbarte Tag brach an, und Godfrey und Hugh konnten es kaum erwarten, ihre alten Freunde wiederzusehen.
Arlo war eine Woche zuvor mit der Nachricht zurückgekehrt, dass alle fünf, also auch Payn, die Reise unternehmen würden. De Payens hatte den Kommandanten des Regiments aus der Champagne davon in Kenntnis gesetzt, dass er sich zwei Wochen dienstfrei nehmen würde, um sich mit einigen alten Freunden aus seiner Heimat zu treffen, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Daraufhin hatte er Ibrahims Herberge aufgesucht und dafür
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