Der Schatz des Störtebeker
DeltaCharly Jens Discher beeinträchtigt wurde.
Greta schloss die Haustür auf, ließ ihre Büchertasche fallen, streifte die Schuhe ab, lief in die Diele und rief: »Papa! Vater! Jens!«, und als sie keine Antwort bekam, noch lauter: »DeltaCharly!«
Dann stutzte sie. Scheiße, wie sah es denn hier aus? Sämtliche Mäntel und Jacken waren von der Garderobe gefallen, der Schuhschrank war umgekippt, die Truhe mit der Bettwäsche ausgeräumt, das saubere Zeug auf dem dreckigen Boden verteilt, der Teppich umgeschlagen. In der Küche waren sämtliche Schränke geöffnet, und das Geschirr war teilweise herausgeworfen worden. Sogar der Kühlschrank stand offen, obwohl Jens immer einen Mordsaufstand machte, wenn es um Energieverschwendung ging. Die Schubladen der Gefriertruhe waren herausgezogen, die Backofentür stand auf.
Aber das war noch gar nichts gegen das Chaos im Wohnzimmer. Fast alle Bücher waren aus den Regalen gezogen und auf den Boden geworfen worden, die Glasvitrine des Schranks zersplittert, Porzellan und Gläser zerborsten. Im Esszimmer waren alle Stühle umgeworfen und der zweite Geschirrschrank entleert. Sie lief zu ihrem eigenen Zimmer am Ende des Flurs, schob die Tür auf und blickte auf ein Durcheinander, das sie nicht mal am Ende eines vierwöchigen Aufenthaltes im Hause ihres Vaters so gründlich hinbekommen hätte.
Sie ging nicht in das Zimmer, registrierte nur das Ausmaß der Verwüstung und Zerstörung und bemerkte zwei Details, die ihr den Rest gaben: Ihrer Lieblingspuppe aus Kindertagen waren ein Bein und der Kopf abgerissen worden, und den Teddy hatte jemand mit einem Messer ausgeweidet, aus seinem Bauch quoll Holzwolle. Sie lehnte sich gegen den Türpfosten und rutschte langsam zu Boden. Dann begann sie zu weinen. Ihr Alter war durchgedreht, verrückt geworden, Amok gelaufen. Als ob man das nicht hätte voraussehen können. Die angeblich so heiß geliebte Einsamkeit hatte ihn fertig gemacht.
Mit einem Mal blitzte ein gruseliges Bild in ihrem Kopf auf: Jens, wie er oben in seinem Dachzimmer vor dem Funkgerät saß, sabbernd und wirres Zeug in alle Welt sendend, DeltaCharly geistig umnachtet und nach einem letzten Aufbäumen seiner kranken Seele und vollendetem Zerstörungswerk hilflos wie ein Baby.
Sie raffte sich auf, lief durch den Flur zur Treppe, ging nach oben und riss die Tür auf, an der ein Aufkleber mit dem witzigen Slogan »Hier funkt’s!« hing. Die Funkanlage stand da wie immer. Abgeschaltet. Die Wand war wie immer mit zahllosen QSL-Karten aus aller Herren Länder beklebt. Alles war so wie immer, nur Jens saß nicht vor seiner Morsetaste.
Sie sah in seinem Schlafzimmer nach. Da war wieder alles durcheinander gebracht worden, das Bett auseinander genommen, die Matratze aufgerissen, der Klamottenschrank ausgeräumt.
Wo zum Teufel war Papa, ich meine, Jens? Wieso hatte er sie nicht abgeholt? War er überhaupt losgefahren? Hatte er einen Unfall gehabt? Lag sein Traktor irgendwo im Straßengraben? Hatte er den R5 gegen einen Baum gesetzt?
Sie rannte die Treppe hinunter, zog die Gummistiefel an, die im Flur herumlagen, und rannte über den Hof zur Scheune, schob das Tor auf und spähte ins Dunkel. Da stand der Traktor und daneben der Renault. Ratlos wandte sie sich um. Ihr Blick fiel auf die Spuren im nassen Schnee auf dem Vorplatz vor der Haustür. Reifenspuren. Fußspuren. Jemand hatte ihn also abgeholt? Das war ja was ganz Neues, dass ihr Vater Besuch bekam und von irgendwelchen Leuten abgeholt wurde.
Sie ging wieder ins Haus, ließ die Gummistiefel an, lief in die Küche, holte sich einen Becher Mousse au chocolat von Nestle aus dem Kühlschrank und aß ihn auf. Dann noch einen und noch einen. Anschließend lief sie ziellos durch das Haus. Aufräumen kam nicht infrage, es war alles viel zu schlimm. Sie setzte sich an den Küchentisch und wartete. Sie schaltete das Kofferradio auf der Fensterbank an und gleich wieder aus, weil das Geschwätz sie nervös machte. Er kam nicht.
Sie spürte, wie ihr kalt wurde. Sie ging in den Heizungsraum und sah, dass er den Heizkessel mal wieder ganz energiesparbewusst mit Holz gefeuert hatte. Das Feuer war aus. Sie fror. Einen Extramantel überzuziehen half da nicht viel. Allmählich wurde sie stocksauer auf ihn. Es war doch ganz offensichtlich, dass er irgendeinen Mist gebaut hatte. Sie schwankte zwischen Angst und Wut. Was wusste sie schon von ihrem verschrobenen Vater, was ahnte sie schon, zu was er alles fähig war?
Sie fand das Telefon
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