Der Schatz des Störtebeker
zahlreichen Zwiebelringe.
»Magst du Zwiebeln?«, fragte er.
Sie biss schon wieder ins Brötchen. »Klar, wieso nicht?«
»Schon okay. Ich auch.« Er klappte sein Brötchen zu und biss ebenfalls hinein.
Sie hielt im Kauen inne und sah ihn ernst an. »Papa… ich meine, Jens ist verschwunden.«
»Was heißt verschwunden?«
»Na, was soll das schon heißen? Er ist weg!«
»He, reg dich nicht gleich auf.«
»Entschuldigung. Er ist nicht zu Hause. Und er ist immer zu Hause. Er geht nie weg, höchstens fährt er mal in den nächsten Ort, um einzukaufen. Er hasst es, sich weiter als hundert Meter von seinem Haus zu entfernen, das ist doch bekannt, ich meine, du kennst ihn doch: Er sitzt an seinem Scheiß-Funkgerät und quasselt mit irgendwelchen Marsmenschen in Übersee, aber klebt an der heimischen Scholle fest oder wie man das nennen soll.« Sie stockte: »Nichts für ungut. Du bist doch nicht auch so ein Amateurfunker?«
»Nein.«
»Okay. Aber du weißt, was ich meine, oder?«
»Ich weiß, dass Jens seinen Resthof im Kehdinger Land nicht gern verlässt. Aber er war hin und wieder in Hamburg. Auf Recherche für sein Buch. Dann hat er hier übernachtet. In anderen Städten in Norddeutschland war er auch, jedenfalls hat er das erzählt.«
»Deswegen bin ich ja zu dir gekommen, weil ich dachte, er hat sich vielleicht bei dir einquartiert, weil er mal wieder in der Stabi rumstöbert oder so.«
»Ich hab ihn seit Monaten nicht gesehen. Kann auch ein Jahr her sein inzwischen.«
»Verdammt.«
»Nimm dir noch ein Brötchen und vergiss nicht, deinen Tee zu trinken, sonst wird er kalt. Vielleicht ist Jens ja inzwischen schon wieder zurück.«
»Glaub ich nicht.«
»Nein?«
»Ich hab immer wieder angerufen. Hab ja schließlich mein Handy dabei.«
»Natürlich.«
»Ja, und er ist immer noch nicht zurück.«
»Find ich jetzt ehrlich gesagt nicht sehr beunruhigend.« Link merkte, dass er zu viele Zwiebeln gegessen hatte. Das zweite Brötchen würde er kaum noch schaffen. Der Tee half nur sehr unzureichend gegen den Zwiebelgeschmack. Nuggi belegte seine Fischbrötchen nicht mit harmlosen Gemüsezwiebeln, sondern mit den kleinen scharfen, die einem die Tränen in die Augen trieben.
Greta nahm einen großen Schluck Tee. »Das Problem ist, dass jemand in der Zeit, als ich nicht da war, seine Wohnung verwüstet hat.«
»Seine Wohnung verwüstet?«
»Ja, wie nach einer Durchsuchung. Entweder waren es Einbrecher oder Bullen.«
»Vielleicht hat er vergessen aufzuräumen. Wusste nicht, dass Besuch kommt. Hat alles ein bisschen verwahrlosen lassen. Dann kamst du, er hat sich geschämt und sich versteckt…«
»Das ist jetzt echt nicht witzig. Du bist doch sein bester Freund, da musst du ja wohl wissen, dass er ein totaler Ordnungsfanatiker ist. Bei ihm ist alles immer superpenibel an seinem Platz.«
»Stimmt. Aber warum sollte jemand seine Wohnung durchsuchen?«
»Sie wollten was klauen.«
»Die Funkanlage ist doch wohl noch da?«
»Ja.«
»Ich wüsste nicht, was er sonst noch Wertvolles besitzen sollte.«
»Aber ich.«
»Tatsächlich?« Link nahm den Kandislöffel und warf die Kluntjes in die Teeschälchen, dann griff er nach der Teekanne und schenkte ihr und sich eine weitere Tasse ein.
»Ich weiß es sogar ziemlich genau«, erklärte Greta.
»Was sie ihm geklaut haben?«
»Was sie ihm klauen wollten. Sie konnten es ja nicht mehr mitnehmen, weil ich es schon vorher gestohlen habe.«
Link stellte die Teekanne auf das Stövchen zurück.
»Kannst du mir jetzt mal erzählen, um was es hier eigentlich geht?«
»Versuch ich doch die ganze Zeit.«
»Vielleicht fängst du einfach mal ganz am Anfang an und gehst dann chronologisch vor – Schritt für Schritt, eins nach dem anderen, wie es passiert ist.«
»Ich weiß, was chronologisch heißt.«
»Na, dann mach mal.«
»Okay. Also, genau genommen ist meine Mutter mal wieder an allem schuld…«
23. FEBRUAR MITTAGS
Es war ja nicht das erste Mal gewesen, dass er nicht rechtzeitig gekommen war, um sie vom Zug abzuholen. Nachdem sie aus dem Regionalexpress auf den kahlen Bahnsteig hinuntergestiegen war, versuchte sie, durch das Schneetreiben hindurch seinen roten R5 auszumachen. Aber unter den wenigen Autos, die am späten Vormittag auf dem Parkplatz neben dem missmutig wirkenden Backsteingebäude des Bahnhofs von Hemmoor standen, war kein rotes zu erkennen. Bei diesem Wetter dürfte er wohl kaum den Traktor genommen haben. Das würde nicht mal ihr Vater, ich
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