Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
erst wenige Minuten, wenn er mir auch sehr sympathisch war. James Grindle machte eine elegante Verbeugung.
»Ich würde Sie ja gerne begleiten. Aber ich bin nicht scharf darauf, Harrisons Flinte zu begegnen. Wenn Sie mal Zeit haben, besuchen Sie mich doch auf dem Hof. Meine Eltern und meine Schwester würden sich bestimmt freuen.«
Warum nicht, dachte ich und schenkte ihm ein Lächeln, um meinen kühlen Ton von eben wettzumachen. In der Lage, in der ich mich befand, konnte es nicht schaden, ein paar Freunde zu haben. Jetzt fiel mir auch wieder ein, wo ich den Namen Grindle schon einmal gehört hatte: An meinem ersten Abend hatte Harrison erwähnt, zu einer Besprechung mit James Grindle zu gehen. Was mich jetzt, nachdem ich die offensichtliche Abneigung des jungen Mannes gespürt hatte, doch etwas verwunderte. Ich nickte ihm kurz zu und entfernte mich einige Schritte. Einen Augenblick später war er jedoch an meiner Seite und griff nach meinem Ellenbogen.
»Sie haben sich bei dem Sturz doch verletzt!« Seine Miene drückte ehrliche Besorgnis aus, während er auf mein rechtes Bein deutete. »Ich denke, es ist besser, wenn ich Sie ins Dorf zum Arzt bringe.«
Die Röte schoss mir ins Gesicht, als ich antwortete:
»Ich bin nicht verletzt. Ich hinke immer.« Zu meiner Erleichterung wandte James Grindle sofort den Kopf zur Seite, dennoch konnte ich erkennen, wie auch er errötete. Die Situation war ihm sichtlich peinlich, darum fügte ich rasch hinzu: »Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, aber ich kann durchaus alleine zurückkehren. Auf Wiedersehen!«
Während ich langsam in Richtung des Hauses hinkte, dachte ich daran, wie Harrison in Inverness reagiert hatte, als er auf meine Behinderung aufmerksam wurde. Bei James Grindle schien es sich um einen Gentleman zu handeln, der wusste, wie man mit peinlichen Situationen umging. In diesem Moment beschloss ich, in den nächsten Tagen tatsächlich seiner Familie einen Besuch abzustatten.
In der folgenden Nacht war ich mir ganz sicher, schwere Schritte und das Zufallen einer Tür zu hören. Rasch warf ich mir den Morgenmantel über, schlüpfte in meine Pantoffeln und huschte auf den Gang. Hier war alles ruhig. Ich hatte bewusst kein Licht mitgenommen, um mich durch den Schein nicht zu verraten. Im Dunkeln tappte ich die Wendeltreppe nach unten. Es war niemand zu sehen, auch hörte ich keine Geräusche mehr, doch in der Halle sah ich, dass ein Wandvorhang beiseite geschoben war. Zu meinem Erstaunen erkannte ich dahinter eine Tür, von deren Existenz ich bisher keine Ahnung gehabt hatte. Sie stand einen Spalt weit offen, dahinter führten Stufen offenbar in die Kellerräume. Muffige, feuchte Luft schlug mir entgegen, als ich in die undurchdringliche Dunkelheit starrte. Mein Herz pochte heftig, und ich wagte kaum zu atmen. Ich war etwa zehn, zwölf Stufen hinabgestiegen, als ich deutliche Geräusche hörte. Etwas klirrte, es folgte ein Klopfen, und dann hörte es sich an, als ob etwas Schweres mühsam über den Boden gezogen wurde. Wenn man in einem Arbeitshaus inmitten der Millionenstadt London aufgewachsen war, neigte man gewiss nicht dazu, an die Existenz von Gespenstern oder anderen Spukgestalten zu glauben. Auch die Geschichte der unglücklichen Lady Mabel hatte mich in keiner Weise beunruhigt. Aber jetzt erlebte ich, was es heißt, wenn einem das Blut in den Adern gefriert. Immerhin befand ich mich in einer jahrhundertealten Burg mitten im schottischen Hochland. Es war allgemein bekannt, dass hier jedes alte Haus mindestens einen Geist beherbergte. Zudem war es wenige Minuten nach Mitternacht. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um die ruhelose Seele der Unglücklichen, die nicht mit ihrem Liebsten zusammen sein konnte und sich deswegen das Leben genommen hatte? Oder war ihr Liebhaber gar irgendwo unten im Keller eingemauert worden? Tausende von Gedanken schossen mir durch den Kopf. Deine Fantasie geht mit dir durch, Lucille, sagte ich mir, trotzdem wollte ich am liebsten hinauf in mein Zimmer laufen und mir die Decke über den Kopf ziehen. Stattdessen stand ich wie erstarrt, es war, als wüchsen aus den steinernen Stufen kalte Hände, die sich um meine Fesseln legten und mich daran hinderten, auch nur einen Schritt zu tun. Meine Zähne klapperten laut, was nicht allein der Kälte zuzuschreiben war. Das Klirren und Klopfen verstärkte sich, ich meinte, auch eine leise Stimme zu hören. Plötzlich sah ich am Ende des Ganges einen Lichtschein. Grenzenlose Erleichterung
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