Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
zu Boden fiel. Sogleich verstummten die Geräusche, und ich hörte, wie schwere Schritte die Kellertreppe heraufkamen. So schnell ich konnte, lief ich in mein Zimmer hinauf. Ich war überzeugt, von Harrison nicht gesehen worden zu sein. Natürlich war jetzt noch viel weniger als vorher an Schlaf zu denken. Gedankenverloren betrat ich den kleinen Runderker und blickte nach draußen. Der Wind heulte und pfiff um das Haus, die Fenster waren nicht ganz dicht, so dass ich in dem kalten Luftzug unwillkürlich schauderte. Dennoch fühlte ich mich hier beinahe wie in einem Krähennest. Was dann geschah, passierte so plötzlich, dass es mir heute noch unfassbar erscheint. Eine heftige Windbö schlug gegen ein Fenster, und die Scheibe krachte in Hunderten von Splittern nach innen. Instinktiv sprang ich zur Seite, doch dann gab der Boden unter mir nach. Wie von Geisterhand löste sich das Mauerwerk und krachte unter und neben mir in die Tiefe. Geistesgegenwärtig suchten meine Hände nach Halt. Irgendwie gelang es mir, mich an den schmalen Mauervorsprung direkt unter dem Erker zu klammern. Der Vorbau selbst war verschwunden, etwa einen Meter über mir klaffte ein großes Loch in der Wand zu meinem Zimmer. Meine Hände schmerzten, Blut lief über meine Finger.
»Hilfe! So helft mir doch!«, schrie ich aus Leibeskräften. Hilflos hing ich an der Mauer und merkte, wie sich meine Finger langsam von den wenigen Zentimetern, die mich noch mit dem Leben verbanden, lösten. Der Regen durchnässte mich binnen Sekunden, und ich wusste, ich würde mich nicht mehr lange festhalten können. In der nächsten Minute würde ich hinab in die Tiefe stürzen. Zwar konnte ich die Steinplatten im Hof nicht erkennen, wusste aber, dass sie vier Stockwerke unter mir lagen.
Erneut schrie ich um Hilfe. Tausende von Gedanken auf einmal schossen mir durch den Kopf. Das war das Ende! So also wirst du sterben. Zerschmettert auf den Platten des Hofes! Aber ich dachte auch daran, dass es die einfachste Lösung für Harrison und Glenda war. Keine Erbin mehr, keine Herrin von Cromdale! In Zukunft würde Harrison wohl mit Fug und Recht die Farben der MacHardys tragen. Während meine Finger immer mehr den Halt verloren, waren meine Gedanken an Harrison so stark, dass ich zuerst an ein Trugbild glaubte, als sein Gesicht plötzlich über mir erschien. Er stellte die Petroleumlampe neben sich und beugte sich aus dem Mauerloch.
»Meine Güte, Lucille! Was machst du denn da draußen? Ist das Wetter nicht etwas zu schlecht für eine solche Kletterpartie?«
»Halt den Mund und hilf mir!«, zischte ich. Wie konnte er in einem solchen Moment banale Scherze machen?
Harrison beugte sich herunter und streckte seine Hände nach mir aus. Für einen Augenblick befürchtete ich, er würde meine Finger vom Sims lösen, um meinen Absturz zu beschleunigen. Welch bessere Lösung konnte es für ihn geben? Doch dann fühlte ich, wie zwei starke Hände sich fest um meine Handgelenke spannten.
»Halt durch, Lucille! Lass nicht los! Hörst du?«
»Den Teufel werde ich tun!« Meine Finger krampften sich stärker in den glitschigen Stein. Ich stieß mir die Hüfte und beide Knie blutig, als Harrison mich mit einem Ruck nach oben zog. Doch dann kauerte ich auf dem Boden meines Zimmers, das todbringende Loch direkt hinter mir. Sanft zog mich Harrison in die Höhe und in die Mitte des Zimmers.
»Verdammter Erker«, fluchte er und ging neben mir in die Knie. »Ich hätte ihn schon längst abreißen sollen. Ich wusste doch, wie baufällig er ist.«
Und deine Mutter hat es auch gewusst, schoss es mir durch den Kopf. Trotzdem – oder gerade deswegen? – hatte sie mir dieses Zimmer hier gegeben. Von einem Augenblick zum anderen löste sich der Schockzustand, im dem ich mich befunden hatte, und ich begann haltlos zu weinen. Ich warf mich an Harrisons Brust, umklammerte seinen Oberkörper mit beiden Armen und schluchzte in sein Hemd. Ich dachte nicht daran, dass ich nur ein Nachthemd trug. Mein Morgenmantel war bei dem Sturz von meinen Schultern geglitten und lag jetzt unten im Hof, wo beinahe auch mein zerschmetterter Körper gelegen hätte.
Zart strichen Harrisons Hände über meinen Rücken. Durch den dünnen Stoff brannte seine Berührung wie Feuer auf meiner Haut, aber es war eine angenehme Hitze, die sich langsam in meinem ganzen Körper ausbreitete.
»Halt mich fest, Harrison, und geh bitte nicht fort! Lass mich niemals wieder los!« War das wirklich ich, die diese Worte gesagt hatte? Ich
Weitere Kostenlose Bücher