Der Schatz von Blackhope Hall
oder übel muss ich Mrs. Terhune vergessen. Für diesen Fall wurde ich ohnehin nicht bezahlt. Aber ich war so wütend – vor allem, weil sie Daguerreotypien verwendet hat, um dem Publikum Geister vorzugaukeln. Wo doch jeder sehen konnte, dass diese Figuren zweiund nicht dreidimensional waren!"
"Jeder außer ihren Anhängern", betonte Tom.
"Das weiß ich", seufzte Olivia. "Vielleicht sollte ich einfach zulassen, dass diese Leute hintergangen werden. Weil sie so schrecklich dumm sind!"
"Nun, gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen." Tom setzte sich auf die Schreibtischkante. "Wollen wir eine andere Spur verfolgen?"
"Das würde ich gern tun", erwiderte sie und ließ ihren Blick über ihren ordentlich aufgeräumten Schreibtisch schweifen. "Aber um die Wahrheit zu sagen, im Moment gibt es keinen Fall."
Seit dem letzten Jahr gingen die Geschäfte, die niemals floriert hatten, immer schlechter. Meistens stellte Olivia aus eigenem Antrieb Nachforschungen an und sammelte Beweise für die Scharlatanerie raffinierter Medien.
"Geben Sie's etwa auf?" fragte Tom erschrocken.
"Nein, niemals. Dass die Gefühle trauernder Hinterbliebener schamlos ausgenutzt werden – diesen Gedanken ertrage ich nicht. Aber vorerst ist meine Arbeit zum Stillstand gekommen. Wir haben keine neuen Fälle. Und ich weiß nicht, wo ich Ermittlungen durchführen soll. Ich kann doch nicht einfach zu den Leuten gehen und sagen: 'Hören Sie, lassen Sie mich beweisen, dass der Mann lügt, wenn er behauptet, er spreche mit Ihrer toten Mutter oder Ihrem verstorbenen Ehemann …'"
"Sehen Sie's von der positiven Seite. Bald werden wir neue Aufträge bekommen. Und bis dahin müssen wir uns eben irgendwie beschäftigen."
"Ja, natürlich haben Sie Recht." Olivia schenkte Tom ein sanftes Lächeln. "Jetzt werde ich erst einmal notieren, was gestern Abend geschehen ist. Und dann schließen wir den Fall ab."
Sie legte ein Blatt Papier zurecht und tauchte ihre Feder ins Tintenfass. Doch es fiel ihr schwer, in Worte zu fassen, was bei der Séance geschehen war. Irgendwie wirkten die Sätze albern, kein bisschen wissenschaftlich. Wie sie es auch drehte und wendete, sie kam nicht an der Tatsache vorbei, dass Lord St. Leger ihren Arm gepackt, dass sie geschrien und dass der Gastgeber sie beide hinausgeworfen hatte.
Letzten Endes gelang es ihr doch, ein paar passende Formulierungen zu finden, und sie stellte den Bericht fertig. Als sie ihn im Aktenschrank verstaute, hörte sie Schritte auf der Treppe. Hoffnungsvoll wandte sie sich zur Tür. Aber da in diesem Stockwerk noch zwei andere Büros lagen, war die Chance, dass jemand zu ihr kommen würde, eher gering. Meistens wurde sie nur von Familienmitgliedern besucht.
Doch dann klopfte es an der Tür. Verwirrt zuckte Olivia zusammen und starrte Tom an, der ihr grinsend zunickte, bevor er aufsprang und die Tür öffnete. Auf der Schwelle stand ein hoch gewachsener Mann. Sichtlich erstaunt musterte er Tom, spähte an ihm vorbei und entdeckte Olivia.
Niemals hätte sie erwartet, ihn wiederzusehen. Eine sonderbare Erregung beschleunigte ihre Herzschläge, während ihr restlicher Körper zu gefrieren schien. Oh Gott, wie dumm sie sich benahm … Mühsam schluckte sie und zwang sich, aufzustehen und zur Tür zu gehen. "Lord St. Leger." Erleichtert hörte sie, wie kühl und ruhig ihre Stimme klang. "Welch eine Überraschung. Bitte, treten Sie ein."
St. Leger nahm seinen Hut ab und schob sich an Tom vorbei, der ihn interessiert beobachtete. "Nun … ich … äh …" Unbehaglich verstummte er.
"Möchten Sie uns mit Ermittlungen beauftragen, Sir?" Tom nahm ihm den Hut ab und hängte ihn an einen Haken neben der Tür. "Wenn ja, sind Sie am richtigen Ort. Niemand versteht sich besser auf die Untersuchung psychischer Phänomene als wir."
"Gibt es noch andere Firmen, die sich mit solchen Dingen befassen?" fragte St. Leger verblüfft.
"Nun …" Tom zögerte, erholte sich aber sehr schnell von seiner Verlegenheit. "Nein – wir sind nicht nur die besten Experten, sondern auch die einzigen."
"Nehmen Sie doch bitte Platz, Lord St. Leger." Olivia wies auf den Stuhl neben ihrem Schreibtisch und warf Tom einen vernichtenden Blick zu.
Seufzend verdrehte ihr Assistent die Augen. Aber er zog sich an seinen Schreibtisch zurück und gab vor, Papiere zu ordnen.
Lord St. Leger ging zu dem angebotenen Stuhl. Bevor er sich niederließ, wartete er höflich, bis Olivia hinter ihrem Schreibtisch saß. Abwartend betrachtete sie ihn, und er
Weitere Kostenlose Bücher