Der Schatz von Dongo
ziehenden tiefen Furchen, mit grauem Haar, das an den
Schläfen weiß wurde und glatt zurückgekämmt war, mit einer so schmalen
Adlernase, daß man fast meinte, er könne damit unmöglich Luft holen,
und einem tadellos geschneiderten Anzug.
»Mein lieber Dan, Sie kommen mir jedesmal, wenn ich Sie sehe,
mehr wie ein paparazzo vor.« Perfektes Englisch,
Oxford oder Cambridge, aber angelernt, nicht angeboren. Dan stellte
sich wortreich vor, sein Gesicht verlor allmählich die graue Farbe, und
er begann sich mit Gibio über einen gemeinsamen Freund zu unterhalten,
der kürzlich – ganz und gar nicht seiner Art
entsprechend – dem Liebhaber seiner Frau mit einem
Fleischerbeil den linken Arm abgehackt hatte. Der alte Diener rollte
einen Barwagen herein und servierte uns Whisky. Gibio gab sich
charmant, lachte häufig und bot mir keinen Anhaltspunkt dafür, wie ich
mich ihm gegenüber – der einen und einzigen Chance gegenüber,
die ich besaß – verhalten sollte.
»Nun, Mr. Selwyn, dann sollten wir jetzt wohl zur Sache
kommen. Dan meinte, es würde einige Zeit beanspruchen. Wir werden
unsere Drinks mit in mein Arbeitszimmer nehmen. Dort sind wir
ungestört.«
Meine Beine waren wie gelähmt, so daß ich ihnen gleichsam als
mein eigener Puppenspieler bewußt befehlen mußte, sich in Bewegung zu
setzen. Die Wände des Arbeitszimmers waren ebenso wie Sessel, Sofa und
die bogenförmige Schreibtischplatte mit beigefarbenem Leder bezogen.
Gibio und Dan setzten sich auf das Sofa, während ich ihnen gegenüber in
einem der beiden Ledersessel Platz nahm. Sein Licht erhielt der Raum
durch in die Decke eingelassene Beleuchtungskörper, die so angebracht
waren, daß sie ihren Schein jeweils direkt auf das Sofa und meinen
Sessel warfen und wir wie Schauspieler auf der Bühne jeder sein eigenes
Spotlight hatten. Als ich zu sprechen begann – ich wandte mich
ausschließlich an Gibio ging mit ihm eine erstaunliche Veränderung vor.
Ich konnte buchstäblich Zusehen, wie die Bonhomie, die er eben noch an
den Tag gelegt hatte, verschwand. Die blaugrauen Augen wurden
schieferfarben, die beiden Furchen an den Mundwinkeln vertieften sich:
vor mir saß der Mann, den Dan mir beschrieben hatte.
Gibio war von Mussolinis Flucht mit dem italienischen
Staatsschatz unterrichtet, also konnte ich mir diesen Teil der
Erzählung ersparen. Ich sagte Gibio, daß ich mit der Vorhut der
alliierten Truppen nach Mailand gekommen wäre, nachdem man Mussolini
und seine Minister bereits liquidiert hatte.
Ende Mai 1945 entschloß sich dann das Alliierte Oberkommando,
ein Team zusammenzustellen, das sich mit der Schatzsuche beschäftigen
sollte. Ich war damals Captain der Air Force gewesen, war auch ein
bißchen vom Geheimen Nachrichtendienst der Air Force geschult worden
und hatte vor meiner Einberufung Jura studiert. Zur Zeit der
Schatzsuche war ich europäischer Chefkorrespondent der Zeitschrift ›Air
Force‹. Unsere Aufgabe bestand in den meisten Fällen darin, daß wir uns
einer Air-Force-Einheit anschlossen – zum Beispiel der Achten
in England –, bei der wir dann drei oder vier Monate blieben
und für das Magazin Reportagen über deren Einsätze schrieben.
Ich war in Paris, als die Stadt befreit wurde. Dort lernte ich
dann auch Dan kennen, der während des Krieges bei der
Infanterie-Zeitung ›Yank‹ arbeitete. Wir liefen uns immer wieder über
den Weg und verlebten eine großartige Zeit miteinander.
Hier unterbrach mich Dan, um Gibio zu erklären, wie wir uns
kennengelernt hatten. »Ich möchte sagen, daß unsere Freundschaft aus
meiner Dummheit und Pauls Courage entstanden ist. Ich war gerade in der
Gegend von Marseille, einem sehr heißen, gefährlichen Pflaster. Ich
hatte da eine fabelhafte, saftige, rothaarige, sommersprossige poupée auf Eis liegen. Ich war zwei Monate fort gewesen, und nun wollte ich
sie wieder auftauen. Meinen Jeep hatte ich bis obenhin vollgepackt mit
Armeeverpflegung – die großen Kartons mit Schokolade, Beefstew
und Toilettenpapier, nicht die getrockneten K-Rationen – und
fuhr damit offen durch diese ausgebombte, verhungerte Gegend. Natürlich
war ich ein ideales Ziel. Dicke Felsbrocken auf der Straße, ich mußte
anhalten, ein paar Rowdies fallen über mich her. Ich hab' einen
Revolver, aber sie sind schon über mir, ehe ich ziehen kann. Sie zerren
mich aus dem Wagen und schlagen mich fast halbtot. Es waren nicht nur
die Lebensmittel, auf die sie es abgesehen hatten, es war auch dieser
ungeheure Haß
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