Der Schatz von Dongo
Außerdem stellten wir fest, daß man in Dongo beim
Abladen der Konvoifahrzeuge eine genaue Liste des Schatzes angelegt
hatte. Und hier tauchte auch wieder der Name Hauptmann Neri auf: Neri
war der Partisanen-Inspekteur des Militärkommandos für die Lombardei
und nach Dongo gekommen, um dieses Abladen zu überwachen. Seine
Freundin war eine Partisanin namens Gianna, die an seiner Seite drei
Jahre lang in der Widerstandsbewegung gekämpft hatte. Dann war sie von
den Faschisten vorübergehend gefangengenommen, gefoltert und ziemlich
entstellt worden. Offiziell galt sie als Verbindungsoffizier der
Zweiundfünfzigsten Brigade.
Neri erteilte Befehl, alles, was von den Fahrzeugen geladen
wurde, ins Rathaus zu bringen, wo Gianna einen Kontrollpunkt und
Depotraum eingerichtet hatte. Jeden Gegenstand, den man hereinbrachte,
trug Gianna persönlich in die Liste ein, die dann mit vier oder fünf
Kopien – die genaue Zahl konnte nie festgestellt
werden – mit der Maschine abgetippt wurde. Anschließend wurde
die Liste von fünf Personen geprüft und unterzeichnet: von Gianna,
Neri, den Partisanen Moretti und Pedro und von der Tochter des
Bürgermeisters von Dongo, einer guten Freundin Giannas, die ihr auch
bei der Bestandsaufnahme geholfen hatte. Wenn es uns gelang, eine Kopie
dieser Liste in die Hand zu bekommen, dann würden wir endlich genau
wissen, wonach wir eigentlich suchten. Wir fanden aber auch heraus, daß
Neri und Gianna viel mehr getan hatten, als nur das Aufstellen jener
Liste zu überwachen. Sie waren es gewesen, die Mussolini an jenem 28.
April, als der Hexenkessel der Mordintrigen zu brodeln begann, in
tiefer Nacht heimlich aus Dongo fortgebracht und auf einem
unauffälligen Bauernhof versteckt hatten. Darüber hinaus waren sie
maßgeblich an einer Reihe komplizierter Transaktionen im Zusammenhang
mit dem wertvollsten Teil der Beute beteiligt, die mitternächtliches
Verfrachten auf heimlich vorfahrende Lastwagen und offene Transporte am
hellichten Tage zu verschiedenen Banken umfaßten. Nach damaligen
Berichten aus Dongo zu schließen, gingen Neri und Gianna beide überaus
gewissenhaft und aufrichtig bei der Durchführung ihres Entschlusses
vor, den Schatz dem italienischen Volk und der Regierung zurückzugeben.
Sie wollten auch nicht das geringste davon für sich und duldeten
ebensowenig die Habgier der anderen.
Unter den gegebenen Umständen mußten sie für ihre Ehrlichkeit
mit dem Tode bezahlen. Ungefähr eine Woche nach der Dongo-Affäre
verschwand Neri bei Como auf geheimnisvolle Weise. Gianna erhielt eine
anonyme Warnung, ihn nicht zu suchen. Als sie diese Warnung mißachtete
und doch nach Como ging, verschwand sie ebenfalls. Cesare Tuissi, ihr
Bruder, suchte nach ihr und wurde auf der Straße nach Como überfallen,
konnte der Maschinengewehrgarbe jedoch zum Glück entkommen. Kurze Zeit
später verschwand die Tochter des Bürgermeisters, die an der Liste
mitgearbeitet hatte. Moretti war auf dem Weg von Como nach Mailand
verschwunden. Was jedoch Pedro betraf, so tauchten jahrelang immer
wieder Berichte über seinen Aufenthaltsort auf, und es ist durchaus
möglich, daß er noch lebt. Gefunden werden aber konnte er nicht.
Giannas Leiche wurde schließlich zwischen Menaggio und Acquaseria ans
Ufer des Comer Sees gespült. So waren alle, die mit der Liste zu tun
gehabt hatten, und auch die Liste selbst verschwunden.
Middlekey hatte bestimmt, daß er selbst, Bis de Jong, Lefèvre
und der Assistent und ehemalige Partisan Enrico nach Dongo hinauffahren
und dort versuchen sollten, die Dinge zu entwirren. Es ging ihm vor
allem um das Rätsel der verschwundenen Schatzlisten. Arnoldo Disio und
ich sollten in Como bleiben. Arnoldo kannte die Gegend und ihre
Bewohner sehr gut, weil er aus Bellagio stammte, einem Dorf etwas
weiter nördlich, auf der Spitze der Landzunge, die den Comer vom Lecco
See trennt. Wir gingen zunächst mit äußerster Zurückhaltung vor. Wir
wollten, daß sich die Einwohner an uns gewöhnten. Arnoldo suchte einige
alte Freunde auf, forschte ein wenig hier, ein wenig da, hütete sich
aber davor, aufzufallen. Ein erstklassiger Mann, dieser Arnoldo.
Sensibel. Intelligent. Ich achtete und bewunderte ihn sehr. Mehrmals
fuhren wir zu seinem kleinen hübschen Haus in Bellagio hinüber, wo
seine reizende Frau und sein Töchterchen wohnten. Er betete die Kleine
an, wie nur italienische Väter ihre Töchter anbeten können. Auch seine
alte Mutter und ein Bruder wohnten dort. Der Bruder, ein
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