Der Schatz von Njinjo (German Edition)
– „Falls sie mal nach Deutschland kommen! Mailen Sie!“ –, leider ohne Foto, aber immerhin mit dessen Namen (wo über dem „u“ noch zwei Pünktchen auftauchen, mit denen ich nichts anfangen kann). Darunter steht „Architekt“, der Name irgendeiner deutschen Stadt, Hamburger Straße, eine Mailadresse und viele Nummern für zwei Telefone. Auch das mit dem Trinkgeld hatte der Deutsche wohl recht rasch begriffen und aller Lohn verdoppelt. Von seiner Familie allerdings war nie die Rede. Ein Einzelgänger, typisch weiß.
„Und wo haben die Urgroßeltern dieses Schutte nun gesiedelt?“
„Im Süden, an einem Fluss nahe der Küste.“
„Im ‚Süden’! Weißt du, wie groß der ist? Wo genau? Und was ist aus denen geworden?“
„1916 sind sie vertrieben worden, sagt der muzungu . Wo genau weiß ich nicht. Danach verliert sich ihre Spur. Nur der Sprössling Walter, Vater von Schuttes Mutter, soll später noch mal irgendwo aufgetaucht sein. Aber viel geredet haben Enkel und Großvater offenbar nicht miteinander. Genaueres schien auch der muzungu nicht zu wissen.“
Jetzt mischte sich auch Kaishe ein. Er will wissen, wovon die Familie des zugezogenen Urgroßvaters denn gelebt habe, wo doch die Pflanzung nicht den gewünschten Ertrag erbrachte? Ob denn der muzungu – ein ehemaliger Kürschner! Stinkender Gerber, oder was? – von Landwirtschaft überhaupt einen blassen Schimmer gehabt habe? Schnell, um Vater abzublocken, presche da auch ich mit meiner nächsten Frage vor:
„Ja, wovon hat der die Karawanenhändler denn bezahlt? Und wofür vor allen Dingen?“
„Weiß ich alles nicht“, murrt Hatten, der langsam unwirsch wird.
„Wir wissen also auch nicht, was diese Kolonialisten damals versteckt haben! Das hättest du doch fragen müssen! Wer hat das Versteck denn ausgehoben? Die Engländer?“
„Ausgehoben ist vielleicht gar nicht das richtige Wort“, fällt Hatten da auf einmal ein. „Ich glaube, der muzungu meinte, es ist mit Schaufeln ausgebuddelt worden. Eben ‚ausgehoben’, wie ein Grab.“
„Nie geplündert oder geleert!“, triumphiert es prompt aus mir heraus.
„Nein, wahrscheinlich nicht. Da hast du Recht“, stimmt Hatten zu. „Das gibt seiner Geschichte einen etwas anderen Sinn.“
Als meinem Bruder die Antworten ausgehen, fehlen der Weihnachtsnacht nur noch wenige Stunden bis zur Morgenröte. Das Bier, dass die Frauen uns in tagelanger Arbeit gebraut hatten, geht zur Neige, die Nachtmesse ist auch längst vorbei. Zeit für ein Schlusswort.
„Der muzungu ist gekommen, um uns auszubeuten. Wieder und immer wieder.“ Die Stimme von Speziosa, Großmutter aller Weihnachtsgäste, die seit Stunden still beim Feuer sitzt, rückt unsere Gedanken im aufkeimenden Morgen ins rechte Licht. Die letzte Kalabasse liegt flach am Boden. Der erste Weihnachtstag morgen beginnt einmal nicht um null Uhr früh, also wie immer morgens um sechs, sondern erst um sechs Uhr mittags, das haben wir es instinktiv beschlossen.
Bevor ich einschlafe, werde ich mir allerdings immer sicherer. Brüderchen hatte dieses eine Mal seinen ganz besonderen Kunden in der Gruppe: Einen Schatzsucher! Solche Leute gibt es in den Erzählungen der Alten nicht. Wer wäre je auf die Idee gekommen, toten Sachen nachzulaufen? Doch diese hellhäutigen wazungu , diese direkten Nachkommen des weißen Jesus und der kolonialen master , nur die kommen auf solche aberwitzigen Ideen! Dieser Finn Schutte muss so einer sein, das wird mir klar. Ein Mann, der glaubt, von toten Sachen reich zu werden. Reicher, als jemals wer aus seiner eigenen Familie, indem er sucht und zu finden hofft, was seine Vorfahren vor fast 100 Jahren in meinem Mutterland vergraben haben. Ich schlief unruhig, von Eroberern, Schätzen, Gold und großen Chancen träumend.
Klar, dass wir nicht pünktlich aus den Federn kamen. Statt sechs war es neun Uhr geworden, bevor alle wieder im Hof auftauchten. Kaishes Uhr, die die Zeit in Ziffern europäisch anzeigt, zeigte die Zahl fünfzehn, nach Rechnung der wazungu war es also bereits drei Uhr nachmittags. Meine innere Uhr, eine andere hab ich nicht, richtet sich bis heute stur nach der Sonne: Null Uhr ist, wenn die auf- oder untergeht, dazwischen gibt es zwölf Stunden Licht oder Dunkelheit. Das ist doch viel gesünder als künstlich Zeiten zu verschieben. So geht das hier seit Menschengedenken, nie hat sich daran irgendwas geändert.
Beim Festessen am Abend zu Ehren des heiligen Herrn, mit dem man meine
Weitere Kostenlose Bücher