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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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Uniformierte nicht bemerkt, weil sie sich schnell in eine finstere Ecke geduckt hatte.
    Allmählich entfaltete das Riechsalz seine belebende Wirkung. Anna steckte das Fläschchen in ihre Handtasche zurück. Sie atmete noch einmal tief durch. Auf dem Weg zu der nächsten bedauernswerten Frauensperson ordnete Anna ihre Gedanken.
    Eine besonders hohe Meinung hatte die junge Frau noch niemals vom Constabler Corps gehabt. In dieser Hinsicht stimmte sie völlig mit ihrem Vater, dem Großhandelskaufmann Friedrich Dierks, überein.
    »Wer nach dem Militärdienst immer noch keine Plattfüße hat, wird Constabler der Stadt Hamburg«, sagte Annas Vater gerne, wenn er im Speisezimmer seiner Blankeneser Villa beim Wein in launige Stimmung geriet. »Strammstehen, das können diese Schießbudenfiguren immerhin!«
    Anna hatte es oftmals gemein gefunden, wenn sich ihr Papa so über die Ordnungsmacht belustigte. Aber nun musste sie ihm insgeheim Recht geben. Aber dass die Uniformierten nicht nur dumm, sondern auch gewalttätig waren – das hatte sie bisher nicht gewusst.
    Die junge Frau seufzte, während sie ihre Schritte Richtung Gängeviertel lenkte. Leider verspottete ihr Papa nicht nur die Hamburger Polizeikräfte, auch über das karitative Engagement seiner Tochter amüsierte er sich regelmäßig.
    »In New York findet soeben das erste Sechstage-Radrennen für Frauen statt«, hatte Friedrich Dierks noch an diesem Morgen beim Frühstück gesagt, während er eine Seite im Hamburger Fremdenblatt umschlug. »Das wäre doch auch etwas für dich, Anna – dann müsstest du dir nicht die Hacken krummlaufen, um den Habenichtsen zu helfen!«
    Anna hatte nichts erwidert, sondern war lediglich errötet. Trotzdem nahm sie ihrem Vater seine humorigen Sticheleien nicht übel. Sie war ihm nämlich viel zu dankbar dafür, dass er sie überhaupt ungehindert mutterseelenallein durch die Stadt streifen ließ. Die Eltern ihrer Blankeneser Freundinnen hätten niemals erlaubt, dass ihre Töchter sich aktiv mit der sozialen Frage beschäftigten. Allerdings berichtete Anna ihrem Papa und ihrer Mama auch keine Details ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit.
    Der Großhandelskaufmann Dierks und dessen Gattin wären gewiss schockiert gewesen, wenn sie die elenden Wohnquartiere gesehen hätten, in denen Anna sich auf ihrer Mission der Nächstenliebe herumdrückte ...
    Aber Anna hatte sich bisher weder von dem Dreck noch von dem Gestank abhalten lassen, die Gängeviertel von Hamburg aufzusuchen. Schon auf der Klosterschule St. Johannis, wo sie vor einem Jahr ihr Abitur gemacht hatte, hatten die Schriften der Aufklärung zu ihrer Lieblingslektüre gehört.
    Anna sog die Gedanken von Jean-Jacques Rousseau, Gottfried Wilhelm Leibniz und Immanuel Kant förmlich in sich auf. Sie war fest davon überzeugt, dass der Mensch von Natur aus gut sei und nur auf den rechten Weg geführt werden müsse.
    Wieder musste die junge Frau daran denken, wie dieser Polizist dem armen Tropf ins Gesicht geschlagen hatte. Was die beiden Männer nach dieser ruchlosen Tat miteinander beredeten, hatte Anna nicht genau verstehen können. Aber für sie stand fest, dass diese Attacke durch nichts gerechtfertigt werden konnte. Sie war immer noch empört. Ob sie den Ordnungshüter einfach anzeigen sollte? Leider kannte sie seinen Namen nicht, aber sie konnte ihn wenigstens genau beschreiben.
    Als er die Toreinfahrt verlassen hatte, hatte sie für einen Augenblick sein Gesicht unter dem Rand des hohen Helms sehen können. Schmale Lippen, helle Augen, keine Barttracht – Anna war sicher, dass sie den Constabler wiedererkennen würde.
    Nach Meinung der jungen Frau musste er einfach für seine Rohheit bestraft werden. Zwar war sie als glühende Verfechterin der Aufklärung davon überzeugt, dass auch dieser brutale Ordnungshüter im Grunde ein gutes Herz hatte. Vielleicht verhalf sie ihm ja gerade durch ihre Anzeige zu einer inneren Umkehr.
    Anna stellte sich vor, wie der gemeine Kerl in Uniform seine Sünden bereuen und zu Gott finden würde. Dieser Gedanke erfüllte sie mit einem warmen Gefühl der Genugtuung. Anna war innerlich so stark beschäftigt, dass sie beinahe von einem Krankenwagen überfahren worden wäre. Im letzten Moment konnte sie zur Seite springen.
    »Pass' doch auf, dumme Göre!«, schrie der Fahrer ihr zu, während er die Peitsche knallen ließ. Der weiß gestrichene Kastenwagen ratterte über das Kopfsteinpflaster am Baumwall. Trotz des Lärms der rollenden Räder und dem

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