DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
angenommen werden.
Schnell zeigten sich die Schattenseiten des Erfolgs. Kaum tauchte der frischgeschlüpfte Paradiesvogel in der Kantine auf, verstummten an den Tischen die Gespräche. Dass plötzlich ein einzelner so viel Aufsehen auf sich zog, und noch dazu ein Emporkömmling ohne jahrzehntelange Erfahrung, passte vielen nicht in den Kram. «Ein Geist der Gleichheit wehte am Leutschenbach», erinnert sich Matyas Gödrös, damals Filmemacher, «wer herausragte, galt gleichsam als asozial und war somit suspekt.»
Besonders heftig war die Ablehnung einen Stock weiter oben, bei der Antenne. Dort scharte man sich um den schlaksigen Peter Schellenberg, eine moralische Instanz, wenn es darum ging, gesellschaftsrelevante Inhalte zu vermitteln. Der neue Stil war ihnen nicht geheuer, und niemals liessen Schellenberg und seine Getreuen sich von hohen Einschaltquoten blenden!
So sehr sich Schawinski mühte, als jovialer Chef ohne Starallüren durchzugehen: Zum ersten Wolkenbruch kam es nach nur zwei Monaten am Ski-Weekend in Andermatt. An einem grauen, nebelverhangenen Tag holten seine vier Kollegen im holzgeschnitzten Stübli der Pension zum Frontalangriff aus: Er wisse immer alles besser, mische sich überall rein, spiele mit verdeckten Karten, sei nicht fair… – die Vorwürfe nahmen kein Ende.
Roger rede immer nur von «Heulern» und «Strassenfegern», empörte sich «Kropfleeret»-Initiator Walter Rüegg (heute Programmdirektor bei Radio DRS), «ich habe die Nase voll von diesem marktschreierischen Getue, dieser Effekthascherei!» Einen «fertigen Gugus» finde er, dass Schawinski spontan eine Sekretärin mit 10’000 Franken Bargeld losschickte, um sich in drei verschiedenen Bankfilialen beraten zu lassen. Er stelle sich seriöse Wirtschaftsgeschichten vor, zum Beispiel über den sinkenden Dollarkurs oder die steigenden Hypothekarzinsen.
Marianne Pletscher ging das «anwaltschaftliche, aufklärerische Gehabe» auf die Nerven. Ihr tue der Whiskas-Verantwortliche leid, der vor laufender Kamera Katzenfutter fressen musste, nur weil er behauptete, es sei auch für Menschen ein Genuss. «Wir haben zwar vordergründig immer recht, aber wenn man es genauer anschaut, ist unser Schwarzweiss-Schema doch ziemlich undifferenziert», hakte sie nach. Statt Gags am Laufmeter vermisse sie objektive Berichte über Ausbeutung am Arbeitsplatz, Betriebsschliessungen, Streiks.
«Natürlich war es ein Drama, mit dem Chef einen solch grausamen Krach zu haben», beteuert Pletscher, die einen Monat später kündigte und bis zum 20-Jahr-Jubiläum kein Wort mehr mit ihrem Ex-Chef wechselte. «Er war halt seiner Zeit voraus», räumt sie ein. Schawinski sei abgegangen «wie eine Rakete», aber das Menschliche sei dabei auf der Strecke geblieben.
Geknickt spielte Schawinski bereits mit dem Gedanken, alles hinzuschmeissen und zurückzutreten. «Ich habe als Chef versagt, bin weder glaubwürdig noch überzeugend», wehklagte er, tief in seinem Stolz verletzt. Doch in der Hektik des Alltags richtete er sich rasch wieder auf. «Ich war wahrscheinlich unglaublich penetrant», gesteht er rückblickend, «doch ganz ehrlich gesagt: Ich hatte immer das Gefühl, ich spüre besser, wie man richtiges Fernsehen macht!»
Dieser Meinung war zum Beispiel auch Leserbriefschreiber H. P. aus Basel, der im Blick vom 2. Juni 1976 ein- für allemal festhielt: «Wenn die Kassensturz-Sendung sterben sollte, hat der Schweizer überhaupt niemanden mehr, der sich für ihn wehrt!»
«So ist Roger quasi heute / Rächer der betrog’nen Leute / also in gewissem Masse / Robin Hood der Fernsehstrasse», reimte Tele-Mitarbeiter Kurt Hüsler in einem seiner Fernsehverse.
Schawinski, der sich nicht selten selbst zu den Betrogenen zählt, blieb nur die Flucht nach vorne. Wild entschlossen eröffnete er sich neue Betätigungsfelder: Mit Kassensturz-Extra erschuf er das erste Forum, in dem kontroverse Themen vor Studiopublikum diskutiert werden konnten (vgl. heute Arena); mit Unter uns gesagt begründete er die Gesprächssendung, in der er später selbst einmal als Stargast auftreten sollte; mit Limit konzipierte er eine Talkshow, in der statt Promis für einmal Aussenseiter («Dirnen, Penner, Säufer, Zuhälter, Drögeler, Neonazis usw.») mit harten Fragen drangenommen werden sollten, und in der – so Schawinski damaliger Vorschlag – sich die Zuschauer direkt per Telefon einschalten sollten (vgl. heute Talktäglich); und quasi nebenbei schrieb er das
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