DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
Es zeigt den 24jährigen Schweizer Studenten Roger Schawinski im Gespräch mit Ralph Nader. Nader, der 35jährige Anwalt und Sohn eines libanesischen Einwanderers, war damals auf dem Gipfel seines Erfolgs: Als erster prominenter Konsumentenschützer hatte er das profitgierige System angeprangert und gegen die Produzenten von ekelerregenden Würsten, brennbaren Teddybären und wirkungslosen Zahncremes gekämpft. In seinem Buch «Unsafe at any speed» wies er konstruktionsbedingte Sicherheitsmängel bei Autos von General Motors nach. Jahrelang wurde er deswegen von der mächtigsten Autofirma der Welt bespitzelt, verleumdet und bedroht, doch Nader – respektvoll als «gefährlichster Mann Amerikas» und «Märtyrer für 200 Millionen» bezeichnet – bewies wie niemand vor ihm, dass ein Einzelner gegen einen Giganten nicht machtlos ist.
«Wenn es je einen Kampf zwischen David und Goliath gegeben hat», applaudierte die Weltwoche in einem Porträt, «dann diesen»!
Keine Sekunde lang zögerte Schawinski, als Ende 1973 beim Schweizer Fernsehen Ideen für eine 20minütige Wirtschaftssendung im Vorabendprogramm gefragt waren. Innert kürzester Zeit legte er dem Ressortchef Ueli Götz ein fixfertiges Konzept für ein konsumkritisches Magazin auf den Tisch. «Etwas Heisses, Mutiges, Noch-Nie-Dagewesenes» schwebe ihm vor, zum Publikum gehörten alle, die bereits beim Wort «Wirtschaft» zusammenzuckten.
Schawinski sah es als seine Aufgabe, «eine breite Öffentlichkeit durch den Dschungel der modernen Marktwirtschaft» zu führen und «auf seltsame Gewächse und Schlingpflanzen» aufmerksam zu machen. Ohne Fachchinesisch und ohne erhobenen Zeigefinger wolle er gegen den grassierenden Konsumterror ankämpfen, sich wehren gegen die Wegwerf- und Verschwendungsgesellschaft. Wichtig war ihm – so hatte er es in den USA gelernt – die Funktion des whistle blowing: Wer von einem Missstand weiss, ist dazu verpflichtet, mit der Alarmpfeife loszutrillern und die anderen zu warnen.
Lange suchte er nach einem passenden Namen. Sollte die Sendung Saldo heissen? Bilanz? Oder sogar volkstümlich ’s Portemonnaie? Schawinski entschied sich für die einprägsame Variante Kassensturz – auch wenn er sie anfänglich für einen Zungenbrecher hielt. Im Studio des Trickfilmers Peter Harrer liess er eigenhändig eine Handvoll Münzen auf eine Metallfolie regnen: In Zeitlupe abgespielt und von elektronischem Glucksen begleitet sollte diese Sequenz zum legendären Erkennungszeichen für eine ganze Fernsehgeneration werden.
Nur ein Laienschauspieler für die auflockernden Spielszenen mit «Gottfried Kassensturz» fehlte ihm jetzt noch. Für diese Rolle wäre doch der Chefarchivar mit dem originellen Gesicht ideal, überlegte Schawinski, und kurz darauf engagierte er Paul Früh. Seinen 21jährigen Mitarbeiter, der zwischen den Regalen staubige Filmrollen sortierte, übersah er prompt. Sein Name war Giacobbo, Viktor Giacobbo…
Mit Effekten, die an Monty Phyton’s Fliegenden Zirkus erinnerten, weckte der Kassensturz bei den Schweizern das Interesse an Mogelpackungen, Heiratsannoncen und dem Kleingedruckten in Verträgen. Ab dem 4. Januar 1974 wollten auf einmal alle wissen, ob Waschmittel weisser als weiss waschen können und welche Schweinereien ans Licht kommen, wenn man im Labor ein Ravioli aus der Büchse seziert. Und als in einem Beitrag über Mineralwasser die Kamera vom Schriftzug HENNIEZ zum NIE zommte, gab es erstmals ein gerichtliches Nachspiel – gefolgt vom ersten Freispruch.
Mit über einer Million Zuschauer schaffte die Informationssendung «für Konsum, Geld und Arbeit» nach nur einem Jahr den Sprung ins Hauptabendprogramm. Was es bedeutet, im Rampenlicht zu stehen, wurde Schawinski bewusst, als er eines Morgens den Blick aufschlug: In Originalgrösse war hier die Augenpartie seiner puertoricanischen Gattin Priscilla abgebildet, und daneben las er: «Kassensturz-Boss Dr. Schawinski ist unbestechlich, aber… Diese Augen machen den Profi-Kritiker schwach.»
Noch etwas hilflos reagierte der Shooting-star auf seine Prominenz. Dem Tele-Journalisten, der ihm vorhielt, er sei «zweifellos im Begriff, ein sehr populärer Mann» zu werden, entgegnete er ausweichend: «Das glaube ich nicht, aber selbst, wenn es so wäre: Darum geht es mir wirklich nicht. Wir machen keine Personality Show.» Alle in seinem fünfköpfigen Team seien gleichberechtigt, Mitbestimmung werde grossgeschrieben, jeder Themenvorschlag müsse einstimmig
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