Der Scheich
gefragt.
Seit jener Nacht, in der sie ihm Gehorsam gelobt hatte, waren vier Wochen verstrichen. In dieser Zeit hatte sie sich zumeist in Schweigen gehüllt. Ihr Haß und ihre Angst wuchsen mit jeder Stunde. Inzwischen hatte sie gelernt, ihren Zorn zu bezähmen, die bösen Worte hinunterzuschlucken, die ihr auf der Zunge lagen. Sie gehorchte ihm nur widerstrebend, die Lippen zusammengepreßt, die Augen voller Trotz. Aber sie fügte sich in ihr Schicksal, mit einer Geduld, die sie selbst überraschte. Tag für Tag tat sie stumm, was von ihr erwartet wurde, solange der Scheich sie nicht ansprach. Da er offenbar mit anderen Dingen beschäftigt war, bemerkte er ihre Einsilbigkeit nicht. Vielleicht wollte er sich auch nicht die Mühe machen, sie aus der Reserve zu locken. Neuerdings ließ er sie oft allein.
Bis vor einer Woche war er fast täglich mit ihr ausgeritten, dann hatte er in knappen Worten erklärt, sie dürfe sich nicht mehr so weit vom Lager entfernen. In Zukunft würde Gaston sie begleiten. Was ihn zu dieser Maßnahme bewog, verriet er nicht, und sie stellte keine Fragen. Sie sah darin nur einen weiteren Beweis seiner tyrannischen Willkür. Daß er sie wie sein Eigentum behandelte und ihr stillschweigendes Einverständnis für selbstverständlich hielt, ärgerte sie maßlos. Trotz ihres verstockten Gehorsams hegte sie weiterhin rebellische Gedanken. Fieberhaft suchte sie nach Mitteln und Wegen, um ihm zu entfliehen. Und jetzt, während seiner Abwesenheit, bot sich die ersehnte Gelegenheit.
Als sie in der letzten Nacht allein gewesen war, hatte sie sich ungeduldig in dem breiten Bett herumgewälzt und überlegt, wie sie ihre Freiheit nutzen sollte. Irgendwie mußte sie dem argwöhnischen Franzosen entwischen. Die Aufregung hielt sie stundenlang wach. Am Morgen fiel es ihr schwer, ihre Gefühle zu verbergen und sich normal zu benehmen. Vor lauter Nervosität wagte sie nicht, ihr Pferd früher als üblich satteln zu lassen, weil sie glaubte, der Diener könnte einen besonderen Grund hinter der harmlosen Bitte vermuten. Unfähig, still zu sitzen, lief sie nach dem Frühstück im Zelt auf und ab und fürchtete, der Scheich würde jeden Augenblick zurückkehren und ihr alle Hoffnung rauben. Sie blickte sich um und erschauderte, als ihr Blick über die luxuriöse Einrichtung und die Gegenstände schweifte, die ihr in der letzten beiden Monaten so seltsam vertraut geworden waren. In ihrer Erinnerung würden diese Dinge und die Persönlichkeit ihres Besitzers stets rätselhaft bleiben. So vieles an seinem Wesen und seiner Lebensart war unerklärlich.
Schließlich hatte sie tief Atem geholt und das Zelt verlassen. Gaston führte die Pferde zum Eingang und hielt ihr den Steigbügel fest. Zärtlich streichelte sie die weichen Nüstern ihres schönen Grauschimmels, und ihre Hand, die über den seidigen Hals glitt, zitterte ein wenig. Sie liebte den Hengst, und an diesem Tag sollte er sie retten. Leise wieherte er und bedankte sich für die Liebkosung, indem er sie mit seinem Maul anstieß. Nach einem letzten Blick auf das große Zelt stieg sie in den Sattel. Dann ritt sie davon, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Sie mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um Silberstern nicht sofort anzuspornen und Gaston abzuschütteln. In der Nähe des Lagers durfte sie nichts riskieren. Deshalb mußte sie sich in Geduld üben und zuerst mehrere Meilen zurücklegen, damit man sie nicht auf der Stelle verfolgte. Sie erinnerte sich wieder an den Gehorsam, den sie dem Scheich schuldete. Doch sie hatte nicht gelobt, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Außerdem war ein Versprechen, das man nur unter Druck abgegeben hatte, ohnehin ungültig.
Sie ritt in langsamem Trab dahin, um ihr Pferd zu schonen. Dabei ging sie im Geist die verschiedenen Möglichkeiten durch und verwarf eine nach der anderen, weil sie ihr undurchführbar erschienen. Hin und wieder protestierte Silberstern gegen das gemäßigte Tempo, warf den Kopf hoch und schlug seine Zähne in die Gebißstange. Diana achtete nicht auf die genaue Uhrzeit und bemerkte nur wie schnell die Minuten verstrichen. Bald mußte etwas geschehen. Aber Gaston, der einige Schritte hinter ihr ritt, hatte schon mehrmals auf seine Uhr geschaut. Nun lenkte er seinen Hengst an ihre Seite und entschuldigte sich. «Pardon, Madame - es wird spät», verkündete er und hielt ihr seine Armbanduhr hin.
Mechanisch blickte sie auf ihr eigenes Handgelenk. Dann erinnerte sie sich, daß sie ihre Uhr vor
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