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Der Scheich

Titel: Der Scheich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Maude Hull
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ein paar Tagen zerbrochen hatte. Sie zügelte den Grauschimmel, schob ihren Tropenhelm zurück und wischte sich die heiße Stirn ab. In diesem Moment wehte ihr eine scharfe Bö ins Gesicht, einer jener seltsamen
Winde, die in der Wüste plötzlich aufkommen und ebenso rasch wieder ersterben.
Und da kam ihr eine Idee. Es war nur eine geringe Chance. Aber vielleicht erfolgreich... Diana wandte sich zu dem Franzosen um, der in die entgegengesetzte Richtung spähte, hielt ihr Taschentuch in den Wind und ließ es los. Sofort flatterte es davon. Sie schrie leise auf und rüttelte am Zaumzeug des Pferdes, das der Diener ritt.
«Oh, Gaston, mein Taschentuch!» rief sie und zeigte auf das weiße Batisttüchlein, das an einem Felsen hängengeblieben war.
Mit einem gespielten Schreckensschrei stieg er ab und rannte über den Sand. Sie wartete, bis er sich weit genug entfernt hatte. Angespannt saß sie im Sattel, mit leuchtenden Augen und heftig klopfendem Herzen. Dann klappte sie ihren Helm herab. Ein kraftvoller Schlag traf das Pferd des Dieners auf die Kruppe, scheuchte es zum Lager zurück, und Diana schwenkte den Grauschimmel herum. Ohne Gastons Geschrei zu beachten, galoppierte sie nach Norden.
Silberstern, der sein Tempo endlich selber bestimmen durfte, sprengte freudig dahin. Pfeifend rauschte der Wind an Dianas Ohren vorbei. Sie interessierte sich nicht für das Schicksal des kleinen Franzosen, dem meilenweit vom Lager entfernt das Pferd davongelaufen war.
In diesem Augenblick dachte sie nicht einmal mehr an ihn, denn jetzt ging es nur noch um sie allein. Der schlichte Trick hatte funktioniert und ihr zur Freiheit verholfen. Nur darauf kam es an. Vorerst überlegte sie nicht, was sie tun oder wohin sie sich wenden sollte. Eins stand jedenfalls fest - sie mußte nach Norden reiten.
Vage hoffte sie, freundliche Araber zu treffen, die sie in die Zivilisation führen würden, wenn sie ihnen großzügigen Lohn versprach. Die meisten sprachen ein bißchen Französisch. Notfalls verfügte sie über spärliche Arabischkenntnisse. Sie wußte, daß es reiner Wahnsinn war, allein durch die Wüste zu reiten, aber es störte sie nicht. Sie war frei und viel zu glücklich, um klar zu denken, lachte und schrie, und ihr Übermut übertrug sich auf den Grauschimmel, der in wildem Galopp dahinraste. Längst außer Rand und Band geraten, würde er sich nicht zügeln lassen. Doch das wollte sie gar nicht versuchen. Je schneller, desto besser. Irgendwann würde er ermüden, und bis dahin durfte er sich austoben.
Rasch entfernte sie sich vom Lager, ihrem Gefängnis, wo ihr der brutale Scheich soviel angetan hatte. Als sie an ihn dachte, stieg kalte Angst in ihr auf. Wenn er sie wieder in seine Gewalt brachte ... Sie erschauderte und schrie gequält auf. Aber sie faßte sich sofort wieder. Unvorstellbar, unmöglich ... Sicher würde es mehrere Stunden dauern, vielleicht sogar den ganzen nächsten Tag, bis ihn jemand alarmierte. Und ihre Feinde konnten nicht wissen, in welche Richtung sie floh. Auf einem seiner schnellsten Pferde würde sie einen meilenweiten Vorsprung herausholen.
Sie versuchte ihn zu vergessen. Endlich hatte sie sich von seiner Grausamkeit befreit, der Alptraum war vorbei. Natürlich würde sie stets unter den Folgen ihres schrecklichen Erlebnisses leiden, nichts würde so sein wie früher. Doch sie mußte die täglichen Qualen nicht mehr ertragen, die ständige Erniedrigung, die Hilflosigkeit, die beschämende Kapitulation, die Selbstverachtung - so stark wie der wilde Haß gegen den Mann, der ihr seinen Willen aufgezwungen hatte. Diese Erinnerungen würden sie bis zu ihrem letzten Atemzug verfolgen.
Wie skrupellos er sie entehrt hatte ... Bei diesem Gedanken glühten ihre Wangen, und sie erschauderte wieder, während sie überlegte, was sie durchgemacht hatte. Niemals würden diese Wunden auf ihrer Seele heilen. Bittere Erkenntnisse, demütigende Erfahrungen hatten das Mädchen, das so triumphierend aus Biskra abgereist war, in eine Frau verwandelt.
Allmählich wurde Silbersterns Schritt langsamer, und er fiel in jenen gleichmäßigen, unermüdlichen Galopp, für den Ahmed Ben Hassans Zuchtpferde berühmt waren. Längst hatte sich der Wind gelegt, sengend schien die Sonne herab. Mit strahlenden Augen schaute sich Diana um. Jetzt erschien ihr alles verändert. Von Anfang an hatte sie die Wüste geliebt. Doch dieses Gefühl war in den letzten Monaten von unablässiger Angst und dem Zwang, die Launen ihres Entführers

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