Der Scheich
kurzen Gespräch kehrte der Scheich langsam zu Diana zurück, blieb vor ihr stehen und betrachtete sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Abwehrend hob sie die Hände und wich seinem Blick aus. «Was werden Sie mir jetzt antun?» flüsterte sie, ohne nachzudenken. Ihre Lippen waren trocken.
Eine Weile starrte er sie wortlos an, als wollte er ihre Qualen noch verlängern. Und dann trat ein grausames Funkeln in seine Augen. «Das hängt davon ab, was mit Gaston geschehen wird.»
«Gaston?» wiederholte sie verständnislos. Über den Ereignissen des Tages hatte sie den Diener völlig vergessen.
«Ja - Gaston», bestätigte er frostig. «Offenbar hast du nicht bedacht, was ihm zustoßen könnte.»
Langsam richtete sie sich auf. «Was soll ihm schon passieren?» fragte sie verwirrt.
Er zog die Zeltklappe beiseite und zeigte ins Dunkel. «Da drüben im Südwesten lebt ein alter Scheich namens Ibraheim Omair. Sein Stamm und meiner befehden sich seit Generationen. Wie ich vor kurzem erfuhr, hat er sich näher an mein Gebiet herangewagt als je zuvor. Er haßt mich, und es würde ihm eine unverhoffte Genugtuung verschaffen, meinen Kammerdiener gefangenzunehmen.» Abrupt ließ er die Zeltklappe los und wanderte wieder umher. Sein unheilverkündender Tonfall verriet Diana, daß der kleine Franzose in Gefahr schwebte. Schließlich war Ahmed Ben Hassan kein Mann, der sich allzuviel Gedanken über das Schicksal seiner Mitmenschen machte. Nun aber war seine Sorge um Gaston offensichtlich. Vor ihrer Abreise aus Biskra hatte Diana einige Geschichten gehört. Und da sie schon seit einiger Zeit bei den Arabern lebte, wußte sie, wie gleichmütig diese Männer mit ansehen konnten, wie andere litten. Grausige Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge, und sie erschauderte. «Was würden sie ihm antun?» hauchte sie.
Der Scheich blieb wieder vor ihr stehen und sah sie finster an. «Soll ich dir das wirklich erklären?» fragte er drohend und lächelte wölfisch.
Mit einem Aufschrei hob sie die Arme vors Gesicht. «Oh, nein! Nein!»
«Wie zimperlich du bist!» meinte er verächtlich und schnippte die Asche von seiner Zigarette.
Beim Gedanken, welche Folgen ihr Fluchtversuch für Gaston haben könnte, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte sie nichts gegen ihn. Im Gegenteil, sie mochte ihn sogar, denn er war ihr gegenüber stets höflich und respektvoll gewesen. An ihn hatte sie gar nicht gedacht, als sie sein Pferd verscheucht und ihn allein in der Wüste zurückgelassen hatte - meilenweit vom Lager entfernt. In jenem Augenblick hatte sie ihn nur als ihren Gefängniswärter betrachtet, der den Befehlen seines Herrn gehorchte.
Daß ganz in der Nähe ein feindlich gesonnener Scheich lebte, erklärte vieles. Zum Beispiel Gastons Wunsch, sich nicht zu weit vom Lager zu entfernen. Und auch das rege Treiben von Ahmed Ben Hassans Gefolge und daß sie sich auf dem nächtlichen Heimweg hatten ruhig verhalten müssen. Schon früh hatte sie erkannt, wieviel der französische Diener seinem Herrn bedeutete. Nun fand sie diese Beobachtung durch die unverhohlene Besorgnis des Scheichs bestätigt, die sich so von seiner sonstigen Gleichgültigkeit und Furchtlosigkeit unterschied.
Nachdenklich musterte sie ihn. In seinem sonderbaren Wesen gab es so viele Tiefen, die sie noch immer nicht ergründet hatte. Würde sie seine widersprüchliche Natur jemals auch nur annähernd verstehen? Während sie seine hochgewachsene Gestalt betrachtete und zusah, wie er im Zelt auf und ab ging, lag eine kaum verschleierte Sehnsucht in ihren Augen. Lautlos glitten seine Füße über die dicken Teppiche, und er bewegte sich mit jener geschmeidigen Anmut, die sie stets an ein wildes Tier erinnerte.
Ihre eben erst entdeckte Liebe drängte sie, ihre Gefühle auszudrücken. Wie sollte sie ihm gestehen, was sie empfand? Hätte sie doch das Recht gehabt, ihn zu umarmen und den grausamen Zug von seinen Lippen zu küssen! Aber das war ihr verwehrt. Sie mußte warten, bis sie gerufen wurde, bis er beschloß, die Frau zu beachten, die er zu seinem Vergnügen entführt hatte, bis er sie wieder begehrte. Für ihn, den Araber, war eine Frau nur eine Sklavin. Und als Sklavin mußte sie alles geben, durfte aber nichts verlangen.
Und wenn er sich ihr tatsächlich zuwandte, würde das Glück in seinen Armen zugleich ein tiefer Schmerz sein, denn er liebte sie nicht. Ein achtloser Kuß würde ihre Lippen verbrennen, und seine Leidenschaft würde sie verhöhnen.
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