Der Scheich
Vielleicht würde er sie auch verstoßen. Wenn Gaston tatsächlich der blutigen Fehde zwischen zwei Araberstämmen zum Opfer fiel ... Dann würde der Scheich schreckliche Rache üben. Und welches Schicksal drohte Diana? Würde er sie töten? Wenn ja, auf welche Weise? Würden die schlanken, gebräunten Finger mit ihrer stählernen Kraft das Leben aus ihr herauspressen? Unwillkürlich berührte sie ihren Hals. Als er neben ihr stehenblieb, um sich eine neue Zigarette anzuzünden, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Sie mußte ihn unbedingt ansprechen und ihm versichern, wie sehr sie Gastons Schicksal bedauerte. Da flog die Zeltklappe auf, und der Diener stand im Eingang.
«Monseigneur ...» stammelte er, die Hände flehend ausgestreckt.
Sofort eilte der Scheich zu ihm und ergriff seine Schulter. «Gaston! Enfin, mon ami !» In seiner leisen Stimme vibrierte ein Unterton, den Diana nie zuvor gehört hatte.
Eine Zeitlang starrten sich die beiden Männer schweigend an. Dann seufzte Ahmed Ben Hassan tief auf. «Gepriesen sei Allah, der Barmherzige und Gnadenreiche!»
«Ja, gelobt sei Sein Name», ergänzte Gaston und sah zu Diana hinüber. In seinen Augen lag kein Groll, nur Sorge. «Madame ...» Er zögerte, und der Scheich unterbrach ihn.
«Keine Bange, Madame ist in Sicherheit», verkündete der Scheich trocken, schob ihn sanft zur Tür und fügte ein paar Worte in arabischer Sprache hinzu.
Nachdem der Diener gegangen war, starrte der Scheich in die Nacht hinaus. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis er die Zeltklappe schloß. Zögernd stand Diana auf. Sie war erschöpft, und ihre hohen Reitstiefel fühlten sich bleischwer an. Sie wagte nicht, nach nebenan zu gehen, fürchtete sich aber auch zu bleiben. Anscheinend hatte Ahmed Ben Hassan vor, ihr weiter die kalte Schulter zu zeigen. Gewiß, Gastons Rückkehr hatte ihr eine zentnerschwere Last von der Seele genommen. Doch sie mußte sich noch für ihren Fluchtversuch verantworten. Daß der Scheich nicht davon gesprochen hatte bedeutete nichts. Sie kannte ihn gut genug. Und Silberstern, eines seiner schönsten Pferde ... Auch für den Tod des Grauschimmels mußte sie büßen.
Seit dem Morgen stand sie unter einer ungeheuren Anspannung, so daß sie es kaum noch ertragen konnte. Und Ahmed Ben Hassans Schweigen stellte eine weitere Folterqual dar. Wie lange würde sie sich noch beherrschen können? Er ging zum Schreibtisch, öffnete eine Munitionsschachtel und begann seinen Revolver nachzuladen. Dieser unbedeutende Vorgang schien ein halbes Jahrhundert zu dauern. Bei jedem Klicken zuckte Diana zusammen. Sie ballte die Fäuste und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Wenn er stumm blieb, mußte sie sprechen. Dieses Schweigen hielt sie nicht länger aus.
«Tut mir leid - um Silberstern ...» Unsicher hielt sie inne. Sogar in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme fremd und heiser. Er antwortete nicht, zuckte nur die Achseln und schob die letzte Patrone ins Magazin. Daß er gleichmütig blieb und ihr nicht einen Schritt entgegenkam, brachte sie zur Verzweiflung. «Hätten Sie lieber mich erschossen!» sagte sie erbittert.
«Vielleicht. Du wärst leichter zu ersetzen. Frauen wie dich gibt es viele. Aber Silberstern war fast einzigartig.»
Entsetzt wich sie vor dem eisigen Klang seiner Stimme zurück. Dann verzogen sich ihre Lippen zu einem traurigen Lächeln. «Und doch haben Sie Ihr Pferd getötet, um mich zurückzugewinnen», entgegnete sie fast unhörbar.
Mit einem zornigen Fluch wandte er sich zu ihr um. «Dummes Ding! Kennst du mich denn so schlecht? Glaubst du, irgend etwas könnte mich daran hindern, mir zu nehmen, was ich haben will? Oder dachtest du, deine Flucht würde mich veranlassen, dich nicht mehr zu begehren? Bei Allah! Selbst wenn du in Frankreich untergetaucht wärst, hätte ich dich gefunden. Was ich habe, behalte ich - bis es mir keine Freude mehr bereitet. Und deiner bin ich noch nicht müde!» Er eilte zu ihr, riß sie an sich, sah ihr leidenschaftlich in die Augen. In diesem Moment erschien er ihr wie ein Teufel. «Welche Strafe hast du verdient?»Er spürte ihr Zittern und lachte, als sie das Gesicht an seiner Brust verbarg. Gnadenlos umfaßte er ihr Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben. «Was haßt du am allermeisten? Meine Küsse!» Wieder brach er in höhnisches Gelächter aus, bevor er seinen Mund auf ihren preßte.
Als er sie plötzlich losließ, taumelte sie blindlings zurück. Ein heftiges Schwindelgefühl erfaßte sie. Doch er hielt
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