Der Scheich
erschienen ihr unverständlich, die Auseinandersetzungen sinnlos. Was in der Welt geschah, kam ihr langweilig vor - verglichen mit dem großen Abenteuer, das sie unwiderstehlich mitriß, dessen Ende sie nicht absah und auch gar nicht in Betracht ziehen wollte. Schließlich schob sie ihre Lektüre beiseite, ließ nur eine Zeitschrift auf ihren Knien liegen, um einen Vorwand für ihr Schweigen zu haben.
Als Gaston den Kaffee servierte, rief der Vicomte lachend: «En/in, Gaston! Nach zwei Jahren darf ich endlich wieder den Nektar der Götter trinken! Irgendwo zwischen meinen Sachen steckt eine neue Maschine für dich, mon ami - vorausgesetzt sie hat Henris Verpackungskunst überstanden.» Er brachte Diana eine gefüllte Tasse und setzte sich zu ihr auf einen Schemel. «Obwohl Ahmed sich schmeichelt, ich wäre nur seinetwegen hierher gereist, Madame - das stimmt nicht. Ich bin gekommen, um Gastons Kaffee zu genießen, der geradezu sprichwörtlichen Ruhm genießt. Bei jedem Besuch bringe ich ihm einen neuen Apparat für die Zubereitung dieses Himmelstranks mit. Dieser letzte ist ein Wunderwerk der modernen Technik. Verzeihen Sie, ich muß dieses köstliche Gebräu mit der Ehrfurcht trinken, die es verdient, Madame, das ist ein Ritus, keine kulinarische Ausschweifung.»
Wieder sah er ihr freundlich in die Augen, und sie beugte sich errötend über das Magazin. Sie wußte genau, daß er ihr zu helfen versuchte und aus Taktgefühl Unsinn redete, um sie ihre fragwürdige Position nicht spüren zu lassen. Dafür war sie ihm dankbar, aber sogar seine Ritterlichkeit verletzte sie. Durch gesenkte Wimpern beobachtete sie, wie er zum Scheich zurückkehrte und sich zu ihm setzte. Er lehnte die angebotenen Zigaretten mit komischem Entsetzen ab, wies lachend auf den «verdorbenen Geschmack» seines Freundes hin und suchte seine eigene Packung.
Beim Dinner war ihr Haß auf den Vicomte verflogen. Nur die Eifersucht blieb, verringerte sich aber zu einem wehmütigen Neid, der ihr die Kehle verengte. Oh, ja, sie beneidete ihn um das Leuchten, das er in Ahmeds dunklen Augen wachrief, und um den besonderen Unterton, den er in der geliebten, leisen Stimme auslöste. Ihr Blick glitt zum Scheich hinüber, der sich zurücklehnte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Eine Zigarette zwischen den Zähnen, redete er mit Saint Hubert. Er behandelte seinen europäischen Freund wie einen Gleichgestellten. In seiner Stimme schwang nichts von jener gebieterischen Arroganz mit, die er seinen Gefolgsleuten zeigte. Und wenn ihm der Vicomte widersprach, nahm er es lachend hin.
Während sich die beiden Männer unterhielten, traten die Unterschiede zwischen ihnen deutlich hervor. Neben dem gertenschlanken, bleichen Franzosen, der eher schwächlich wirkte, glich der Scheich einem kraftstrotzenden Riesen. Angesichts der Gelassenheit des Scheichs wirkten die Gesten des Vicomte um so hastiger und nervöser. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete Diana die Freunde. Sie redeten ohne Unterlaß. Offensichtlich hatten sie sich viel zu erzählen. Sie sprachen abwechselnd französisch und arabisch, so daß Diana nicht alles verstand. Darüber war sie froh, denn sie wollte gar nicht wissen, was sie sagten.
Vermutlich hatten sie Dianas Anwesenheit vergessen. Das war nicht verwunderlich, da sie sich nach zwei Jahren zum erstenmal wiedersahen und viel nachholen mußten. Doch Diana genoß die Ruhe, die ihr vergönnt wurde, und war dankbar für die seltene Gelegenheit, das geliebte Gesicht unbemerkt zu studieren. Wenn sie mit Ahmed allein war, wagte sie vor lauter Angst, ihre Augen könnten ihr Geheimnis verraten, kaum, ihn anzusehen. Jetzt beobachtete sie ihn ungestört und mit leidenschaftlicher Sehnsucht.
In seinen Anblick versunken, nahm sie Gaston erst wahr, als er scheinbar aus dem Nichts auftauchte und plötzlich neben seinem Herrn stand. Er flüsterte ihm etwas zu, und der Scheich stand auf und sagte zu Saint Hubert: «Wie ich soeben erfahre, gibt es Schwierigkeiten mit einem Pferd. Kommst du mit? Vielleicht interessiert es dich.»
Sie eilten aus dem Zelt und ließen Diana allein. Sie ging ins Schlafgemach. Eine halbe Stunde später kehrten die Männer zurück und unterhielten sich noch eine Weile. Dann gähnte der Vicomte und hielt lachend seine Armbanduhr hoch. Der Scheich begleitete ihn ins Gästezelt, wo er auf dem Feldbett Platz nahm. Nachdem Saint Hubert seinen Kammerdiener Henri mit einer knappen Geste entlassen hatte, zog er sein Jackett aus. Seine
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