Der Scheich
dieses Gebiet heranwagte denn je? Er lachte verächtlich. Nein, nichts würde ihm größeres Vergnügen bereiten als ein Zusammentreffen mit dem Mann, den er schon in früher Jugend hassen gelernt hatte. Solange Ibraheim Omair sein Territorium nicht verließ, konnte Ahmed Ben Hassan seine kriegslüsternen Anhänger im Zaum halten, die sehnsüchtig in das umstrittene Land hinüberspähten. Aber wenn der Räuberscheich die Grenze auch nur um einen Zoll überquerte, würde ein Krieg ausbrechen und andauern, bis einer der beiden Scheichs den Tod fand. Sollte Ahmed sterben, der keine Söhne und Erben hatte, würde der große Stamm in zahlreiche kleine Familien zerfallen, da kein Anführer sie mehr zusammenhielt. Dann würden die Franzosen die Herrschaft über das riesige Gebiet übernehmen, das er bis jetzt unangefochten regiert hatte. Bei diesem Gedanken lachte er wieder. Nein, Ibraheim Omair bereitete ihm keinen Kummer. Er schob den Hund beiseite und betrat das Zelt.
Auf dem Diwan, wo Diana gesessen hatte, lagen immer noch Magazine und Zeitungen. In den weichen Kissen zeigte sich der Abdruck ihres schlanken Körpers. Dazwischen lugte ein winziges spitzenbesetztes Taschentuch hervor. Er griff danach, musterte es prüfend und runzelte die Stirn. Dann glitt sein glühender Blick zu den Vorhängen hinüber, die beide Räume teilten. In seinen Ohren gellten Saint Huberts Worte. «Eine Engländerin!» murmelte er und fluchte. «Und ich ließ sie leiden, weil ich mir geschworen hatte, alle Angehörigen dieses verdammten Volkes, die jemals in meine Hände fallen würden, zur Verzweiflung zu treiben. Barmherziger Allah, warum bereitet es mir kein Vergnügen?»
Siebtes Kapitel
Eines Morgens, etwa eine Woche nach der Ankunft des Vicomte, betrat Diana den Wohnraum. Daß sie jemanden antreffen würde, erwartete sie nicht, denn der Scheich war schon zeitig aufgestanden und davongeritten. Er wollte eine jener Expeditionen unternehmen, die sich neuerdings häuften. Sie glaubte, sein Freund hätte ihn begleitet. Aber als sie die Vorhänge auseinanderzog, sah sie den Franzosen am kleinen Schreibtisch sitzen. Hastig glitt seine Feder über ein Blatt Papier. Mehrere lose Manuskriptseiten lagen am Boden verstreut. Zum erstenmal war sie allein mit ihm, und sie zögerte in plötzlicher Scheu.
Saint Hubert hatte die Vorhänge rascheln hören. Sofort sprang er auf und verbeugte sich mit typisch französischer Höflichkeit. «Verzeihen Sie, Madame. Störe ich Sie? Sagen Sie mir, wenn ich Ihnen zur Last falle. Ich fürchte, ich bin sehr unordentlich», fügte er hinzu, wies auf die Papiere am Boden und lächelte entschuldigend.
Langsam ging sie auf ihn zu und errötete: «Ich dachte, Sie wären mit Monseigneur ausgeritten.»
«Dazu habe ich keine Zeit. Ich möchte einige Notizen ins reine schreiben, ehe ich vergesse, was sie bedeuten. Leider kann ich meine eigene Handschrift kaum entziffern. Außerdem liegt eine anstrengende Woche hinter mir, und so bat ich den Scheich, mir einen Tag freizugeben. Darf ich bleiben? Sind Sie sicher, daß ich Sie nicht belästige?
Sein freundlicher Blick und sein ehrerbietiger Tonfall schnürten ihr die Kehle zu. Wortlos bedeutete sie ihm, seine Arbeit fortzusetzen, und wanderte vor das Zelt, in den Schatten der Markise. Die üblichen Geräusche des Lagerlebens erfüllten die Luft. In einiger Entfernung beobachteten mehrere Araber einen Zureiter, der ein junges Pferd zähmte, machten lautstarke Bemerkungen und erteilten ihm immer wieder Ratschläge, die der Angesprochene gleichmütig ignorierte. Andere gingen gemächlich und mit jener typisch orientalischen Saumseligkeit, die lieber alles auf morgen verschob, ihrem Tagwerk nach. In Dianas Nähe widmete sich ein älterer Mann seinem Gebet. Offensichtlich nahm er seine religiösen Pflichten ernster als die meisten Gefolgsleute des Scheichs, und er widmete sich ihnen mit der Unbefangenheit gläubiger Mohammedaner.
Vor seinem eigenen Zelt saß Gaston auf einem umgestülpten Eimer und reinigte ein Gewehr. Henri lag lang ausgestreckt neben ihm und verscheuchte träge die Fliegen. Dazu benutzte er den Lappen, mit dem er soeben die Reitstiefel des Vicomtes poliert hatte. Die beiden Brüder unterhielten sich angeregt und brachen immer wieder in Gelächter aus. Zu Gastons Füßen kauerte der persische Hund. Sobald er Diana entdeckte, trabte er zu ihr. Er sprang an ihr hoch, legte auf jede Schulter eine Pfote und unternahm den ungeschickten Versuch, ihr übers Gesicht zu
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