Der Scheich
ihn würde ich niemals zurechtkommen. In unserer Kindheit kommandierte er mich herum - zumindest nannte ich es so. Er fand eine andere Bezeichnung für diese Tätigkeit und behauptete, er würde ‹Monsieur le Vicomte amüsieren›. Nun tyrannisiert er mich schon seit fünfzehn Jahren nach Herzenslust.» Lachend schnippte er mit den Fingern, die Hand nach Kopec ausgestreckt, der leise winselte und ihn ansah. Aber sein Kopf blieb auf Dianas Knien liegen.
Nun entstand eine kleine Pause. Geistesabwesend streichelte Diana das Hundefell, dann blickte sie auf. «Monsieur, ich habe Ihre Bücher gelesen - alle, die Monseigneur hier verwahrt», meinte sie ernst.
Er verneigte sich und murmelte etwas Unverständliches.
«Vor allem Ihr Roman hat mich interessiert», fuhr sie fort und liebkoste Kopec immer noch, als würde seine Nähe ihr Sicherheit geben. «Ich finde Romane normalerweise langweilig, weil sie sich mit Themen befassen, die mir nichts sagen. Aber dieser hat mich gefesselt. Welch eine ungewöhnliche, wundervolle Geschichte! Doch ich frage mich - ist sie wahr?» Diana sprach mit jenem jungenhaften Freimut, der typisch für sie war. Statt einem Autor zu seinem Meisterwerk zu gratulieren, stellte sie einfach nur eine schlichte Tatsache fest, die ihr aufgefallen war.
Saint Hubert beugte sich zu ihr hinüber. «Wahr? Wie meinen Sie das?»
Eindringlich sah sie ihm in die Augen. «Glauben Sie, ein Mann wie Ihr Romanheld könnte in der wirklichen Welt existieren? So zartfühlend, so selbstlos, so treu?»
Er wich ihrem Blick aus, griff wieder nach der Füllfeder, malte bedeutungslose Kreise und Punkte auf die Löschblattunterlage. Zögernd zuckte er die Schultern. Ihr spöttischer Ton und ihr schmerzerfüllter Blick gingen ihm nah. «Nun, ich kenne einen Mann, der in gewissen Situationen die Fähigkeiten besäße, solche Eigenschaften zu entwickeln.»
«Dann haben Sie mehr Glück als ich», meinte sie mit einem bitteren Auflachen. «So jung ich auch bin - in den letzten fünf Jahren habe ich viele Männer aus aller Herren Länder kennengelernt, und kein einziger glich auch nur annähernd dem preux chevalier in Ihrem Buch. Die Männer, die mir begegnet sind, verstehen gar nicht, was das Wort ‹Zärtlichkeit› heißt, und sie denken nur an sich selbst. Seien Sie dankbar, daß Sie einen so edlen Mann kennen, Monsieur.»
Das Blut stieg ihm ins Gesicht. Unverwandt starrte er die Feder in seiner Hand an. «Madame», begann er langsam, «bedauerlicherweise wecken schöne Frauen in manchen Männern die niedrigsten Instinkte. Unter dem Einfluß einer plötzlichen Versuchung weiß keiner, in welche Tiefen der Niedertracht er hinabsinken könnte.»
«Und die Frau muß dafür bezahlen!» rief sie erregt. «Sie büßt für die Schönheit, die Gott ihr aufgebürdet hat - die ihr verhaßt ist. Dafür büßt sie, bis die Schönheit verblüht. Wie sehr...» Abrupt verstummte sie und biß sich auf die Lippen. Von ihrer Sympathie für Saint Hubert bewegt, hatte sie unwillkürlich ihre selbst auferlegte Zurückhaltung aufgegeben und viel zu offenherzig gesprochen. Sie fürchtete, ihm zuviel anvertraut zu haben, und ihr Stolz gestattete ihr nicht, sich von ihm bemitleiden zu lassen, obwohl sie sich in ihrer Einsamkeit danach sehnte. «Entschuldigen Sie», fügte sie hinzu. «Meine Gedanken interessieren Sie natürlich nicht.»
«Ganz im Gegenteil», entgegnete er, «ich interessiere mich sogar sehr für Sie, Madame.»
Als sie den kleinen Unterschied in seiner Wortwahl erkannte, lachte sie noch bitterer. «Und was sehen Sie in mir? Ein Objekt, das Sie sezieren können? Ziehen Sie doch Ihren Arztkittel an, holen Sie Ihre chirurgischen Instrumente. Das Opfer ist bereit und wird Ihnen faszinierendes Material für Ihr nächstes Buch bieten.»
«Oh, Madame!» Erschrocken sprang er auf, und sie blickte traurig zu ihm empor.
«Bitte, verzeihen Sie mir», bat sie und streckte zerknirscht die Hand aus. «Das hätte ich nicht sagen dürfen. Sie haben es nicht verdient. In diesen Tagen waren Sie so freundlich zu mir. Dafür muß ich Ihnen danken. Tragen Sie mir meine Unhöflichkeit nicht nach. Es muß wohl an der Hitze liegen. Die macht einen ganz nervös. Finden Sie nicht auch?»
Ohne auf Dianas armselige Ausflucht zu achten, ergriff er ihre bebenden Finger und zog sie an die Lippen. «Wenn Sie mir die Ehre Ihrer Freundschaft erweisen», beteuerte er mit seiner alt' modischen Ritterlichkeit, «stehe ich Ihnen stets zu Diensten.»
Aber noch während er
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