Der Scheich
In den Wochen ihres ungetrübten Glücks hatte sich eine Vertrautheit zwischen ihnen entwickelt, die beinahe an Kameradschaft grenzte. Er war menschlich und rücksichtsvoll gewesen wie nie zuvor, hatte sich beinahe wie ein Europäer verhalten und ihr alle Angst genommen. Damals hätte sie ihn ersuchen können, ihr die Eskorte zu ersparen.
Doch dann war die Hoffnung erloschen, die jene unerwartete zärtliche Umarmung an dem Morgen vor Raouls Ankunft geweckt hatte. Jetzt wahrte der Scheich eine frostige Distanz, die Diana erschreckte. Wenn er sie liebkoste, was nur selten geschah, wirkte er achtlos und so gleichmütig, daß sie sich beklommen fragte, ob die Flamme seiner Leidenschaft erloschen war und das Ende kurz bevorstand. Trotzdem spürte sie ebenso wie Saint Hubert den eifersüchtigen Blick, der ihnen unablässig folgte und Diana etwas zuversichtlicher stimmte. Trotzdem wagte sie es nicht, den Scheich um einen Gefallen zu bitten.
Wann immer sie an seine Gleichgültigkeit dachte, krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. An diesem Morgen hatte er sie wortlos verlassen, um im Dämmerlicht davonzureiten. Und sie sehnte sich so inbrünstig nach den Küssen, die er ihr verweigerte. Längst war sie an sein Schweigen gewöhnt. Doch ihre Seele hungerte nach Zuwendung und nach Ahmeds Nähe.
Früher hatte sie geglaubt, sie könne niemals so tiefe Gefühle empfinden. Und nun war die Liebe eine Macht, die alles beherrschte und sie nicht mehr losließ. Diese maßlose Liebe hatte sich in ihr aufgestaut und schließlich alle Hemmungen besiegt. Ihr stolzes Herz gehörte nur noch dem Mann, der es erobert hatte.
Es war eine grenzenlos zärtliche, vollkommen selbstlose Liebe, der sie in tiefer Demut gehorchte. Alles hatte sie für Ahmed aufgegeben. Ihr einst so starker Wille beugte sich seiner Überlegenheit, und da er sie nun völlig beherrschte, sehnte sie sich nur um so mehr danach, daß er ihre Liebe erwidern möge. Nur für ihn lebte sie, nur für die Hoffnung auf seine Liebe, und sie ging völlig in ihrer Leidenschaft auf. Ihre Kapitulation war von besonderer Art gewesen. Die weibliche Schwäche, jahrelang verachtet und bekämpft, triumphierte ganz unerwartet, so absolut, daß sie sich erniedrigt fühlte. Die Weltanschauung mußte der Geschlechtlichkeit weichen, und die fraulichen Instinkte, von Aubreys Erziehung unterdrückt, gewannen die Oberhand, durch Ahmeds vitaler Männlichkeit und gebieterischer Persönlichkeit erweckt.
An diesem Tag war Diana der Verzweiflung nahe. Sein kaltblütiges Verhalten am Morgen hatte sie zutiefst verletzt, und ihr alter Trotz regte sich wieder. Nein, sie würde sich nicht beiseiteschieben lassen, ohne um seine Liebe zu kämpfen. Alle Waffen wollte sie einsetzen, die ihr Schönheit und weibliche Intuition verliehen. Als ihr klar wurde, auf welche Rolle sie sich da einließ, brannten ihre Wangen. Sie würde sich auf dieselbe Stufe begeben wie jene «anderen», und sie erschauderte beim bloßen Gedanken an diese Frauen.
Aber sie setzte sich entschlossen über ihre Bedenken hinweg, hob hochmütig wie eh und je den Kopf und richtete sich kerzengerade im Sattel auf. Sie preßte die Lippen zusammen. So viel hatte sie schon ertragen. Also würde sie auch diese Schmach hinnehmen. Was immer es auch kosten mochte, sie mußte Ahmeds Liebe gewinnen, obwohl es ihr gar nicht recht war, zu solchen Mitteln zu greifen. Doch während sie Pläne schmiedete, begann sie bereits an ihrem Erfolg zu zweifeln, und entmutigende Erinnerungen kamen ihr in den Sinn.
Ahmed Ben Hassan war kein Mann, der den Reizen einer Frau widerstandslos erlag. Nur zu gut kannte sie sein starrsinniges, unbeugsames Wesen. Seine Entschlossenheit glich einem Felsen, an dem Dianas Gefühle immer wieder abprallten. Schon wollte sie ihre Hoffnung aufgeben, dann kehrte ihr Mut zurück und verjagte die quälende Unsicherheit. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie blickte auf und zwang sich, ihre Gedanken auf die Gegenwart zu richten.
Zu Beginn des Ausritts hatten sie mehrere Wachtposten passiert, die reglos auf ungeduldigen Pferden saßen und zum Gruß ihre Gewehre schwenkten. Gaston hatte ihnen einige Fragen gestellt, ehe er Diana nachgaloppierte. Aber in der letzten Stunde waren sie keiner Menschenseele mehr begegnet. In diesem Gebiet erhoben sich zahlreiche Hügel, die ihnen die Sicht versperrten.
Der Diener spornte sein Pferd an und lenkte es an Dianas Seite. «Möchten Madame jetzt vielleicht umkehren?» bat er respektvoll. «Wir
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