Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
Schwererziehbare, es gab Pflegeheime und Heime für Tiere. Alles Störende wurde hübsch ordentlich weggepackt.
    Bert wusste, dass sein Urteil einseitig war. Dass eine Gesellschaft besser so Verantwortung übernahm, als dass sie die Augen ganz vor dem Elend verschloss. Aber manchmal war der Zyniker in ihm stärker als der Menschenfreund.
    Die zweite Heimleiterin an diesem Tag, auch das wurde Bert bewusst. Diese hier trug Gummistiefel, Jeans und eine wattierte Jacke. Ein kalter Wind pfiff um die Ecken, und es kam Bert so vor, als wäre es hier kälter als auf der anderen Seite des Tors.
    In der nackten, ausgewaschenen Erde der Außengehege wuchs kein Grashalm, kein noch so unscheinbares Blümlein mehr. Das Fressgeschirr der Hunde, vor Kurzem zweifellos sauber hingestellt, war dreckverschmiert. Und wenn das Gebell der Wilderen unter ihnen erst aufgehört hätte, würde man das Winseln der Schüchternen hören.
    Bert kämpfte gegen das dringende Bedürfnis an, sämtliche Tiere mit nach Hause zu nehmen. Er wandte den Blick ab, um sich auf keinen Augenkontakt einzulassen, der ihn wehrlos gemacht hätte. Die Hand der Heimleiterin war seine Rettung. Dankbar schüttelte er sie.
    »Donkas«, sagte sie. »Angenehm. Trinken Sie einen Tee mit mir?«
    Sie war ihm auf Anhieb sympathisch und er nahm ihr Angebot gern an.
    »Dann folgen Sie mir doch bitte ins Büro.«
    Die Hunde kläfften Bert nun nicht mehr an, sondern strichen unruhig am Zaun entlang, hungrig nach einem Wort oder gar einer Berührung der Heimleiterin.
    »Daran gewöhnt man sich nie«, sagte Frau Donkas. »An diese Sehnsucht nach Zuwendung und Zärtlichkeit, die wir beim besten Willen nicht stillen können. Ebenso wenig gewöhnt man sich daran, dass es Menschen gibt, die Tiere vernachlässigen, aussetzen und auf perfideste Weise quälen.«
    Das Büro platzte aus allen Nähten. Verwohnte, zusammengesuchte Möbel verschwanden beinah unter Bergen von Papier. Zwischen den Akten standen benutzte Kaffeetassen, lagen Geldscheine, Hundehalsbänder und Katzenspielzeug. Auf der Fensterbank saß ein grauer Kater, so reglos, als sei er gar nicht echt.
    »Das ist Smoky.«
    Frau Donkas schaufelte den Besucherstuhl frei und holte saubere Becher aus einem Hängeschrank ohne Türen.
    »Er gehört mehr oder weniger zum Inventar. Eigentlich sollten Sie ihn befragen, denn er ist Merles engster Vertrauter.«
    Beim Klang seines Namens hatte der Kater den Kopf gedreht. Bert sah ihm in die Augen und erschrak.
    »Smoky muss schon hundertmal in seinem Leben gestorben sein.«
    Frau Donkas machte sich an dem elektrischen Wasserkocher zu schaffen und stellte eine Packung mit Würfelzucker auf den Schreibtisch.
    »In seinen Augen ist alles Leid der Welt zu lesen.«
    In diesem Moment machte der Kater einen Satz auf den Boden und jagte voller Elan einer Fliege hinterher.
    Frau Donkas schmunzelte.
    »Aber auch alle Freude.«
    Sie goss kochendes Wasser in die Becher und warf je einen Beutel Tee hinein. Dann nahm sie auf dem Schreibtischstuhl Platz.
    »Sie wollten mit mir über Merle sprechen.«
    Bert nickte. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Vor drei, vier Tagen vielleicht. Wissen Sie, ich muss immer viele Außentermine wahrnehmen. Manche Mitarbeiter treffe ich nur einmal die Woche.«
    »Außentermine?«
    »Das klingt vornehmer, als es ist.« Sie lächelte. »Schauen Sie sich um. Die Büroarbeit wird quasi nebenher erledigt. Wichtig sind vor allem die praktischen Dinge. Konkrete Straßenarbeit. Und da muss jeder mit anpacken, auch ich.«
    »Was ist mit Ihren Mitarbeitern? Wann hatten die das letzte Mal mit Merle zu tun?«
    Frau Donkas holte den Tee und setzte sich wieder.
    »Sie haben ja schon am Telefon angedeutet, dass es um Merle geht, deshalb habe ich alle gefragt. Merle hatte vorgestern Dienst, und das war auch der letzte Tag, an dem die anderen sie gesehen haben.«
    Eine Weile schwiegen sie. Irgendwo klingelte ein Telefon. Siebenmal, achtmal. Ein Pferd wieherte. Frau Donkas beantwortete Berts stumme Frage mit einem Schulterzucken, das so viel bedeutete wie: Selbstverständlich haben wir auch Pferde. Ein junger Mann steckte den Kopf ins Zimmer, sah den Besucher und zog sich gleich wieder zurück.
    »Merle ist etwas zugestoßen, nicht wahr?«
    Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, der einzige Hinweis darauf, dass sie sich gegen die Antwort zu wappnen versuchte.
    Eine beeindruckende Frau, dachte Bert. Jemand, der gelernt hat, den Blick nicht abzuwenden, sondern hinzugucken.  Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher